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Migration im Wahlkampf: Debatte voller Leerstellen

  • Zuwanderung und Integration

Migration ist das beherrschende Thema des aktuellen Bundestagswahlkampfs. Der Tenor ist eindeutig. Menschen aus dem Ausland werden als potenzielles Sicherheitsrisiko gesehen, deren Einreise nach Deutschland erschwert werden soll.

Der Antrag, den die Union aus CDU und CSU am 29.01.2025 mit Stimmen der FDP und der rechtsextremen AfD verabschiedet hat, macht das deutlich. Gefordert werden unter anderem dauerhafte Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen, Zurückweisung aller Personen ohne gültige Einreisedokumente und Ausreisearrest für alle Straftäter und Gefährder. Dabei geht es schon lange nicht mehr um Fakten. Die Debatte ist hochemotional und wird in weiten Teilen unsachlich geführt. Das zeigen beispielsweise Äußerungen von Friedrich Merz, dem Kanzlerkandidaten der Union. Aufsehen erregte er etwa mit Aussagen, in denen er 2022 Schutzsuchende Menschen aus der Ukraine als Sozialtouristen verunglimpfte und im letzten Jahr in der Debatte um die Silvesternacht arabischstämmige Schüler als kleine Paschas bezeichnete.

Aber auch jenseits konservativer und rechtsextremer Parteien wird der Ton gegenüber Zuwandernden rauer. Die Grünen und ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck etwa legten einen Zehn-Punkte-Plan vor, um die Sicherheit in Deutschland zu erhöhen. Dieser sieht zwar nicht vor, Menschen an der deutschen Grenze zurückzuweisen aber auch hier werden Einreisende als potenzielle Gefahr für die Sicherheit Deutschlands eingestuft. SPD-Kanzler Scholz forderte bereits 2023 „endlich im großen Stil ab[zu]schieben“.

Die Einseitigkeit, mit der die Debatte geführt wird, ist mindestens befremdlich, wenn nicht gar verstörend. Wenn Parteien der Mitte nun sogar den Schulterschluss mit rechtsextremen Kräften suchen, um ihre ansonsten nicht mehrheitsfähigen Positionen durchzusetzen, scheint eine neue Dimension erreicht. Zumal eine aktuelle Studie des ifo Instituts andere Rückschlüsse nahelegt. Dort heißt es, dass es keinen statistischen Zusammenhang zwischen dem Anteil an Menschen aus dem Ausland und der Kriminalitätsrate gibt. Höchste Zeit also für eine differenziertere Betrachtung der Frage „Welche Bedeutung hat Zuwanderung für Deutschland?“

Demografische Einordung

Aus einer demografischen Perspektive ergibt sich ein völlig anderer Blick auf das Thema. Ohne Zuwanderung würde die Gesellschaft komplett anders aussehen und das Leben in Deutschland, wie wir es kennen, so nicht funktionieren. Migration ist zunächst einmal einer der drei Treiber der demografischen Entwicklung. Zusammen mit der Geburten- und Sterberate bestimmt der Wanderungssaldo darüber, ob die Bevölkerung wächst oder schrumpft und wie sie sich zusammensetzt. Für Deutschland spielt Zuwanderung schon lange eine bedeutende Rolle. Denn bereits seit den 1970er Jahren werden in Deutschland innerhalb eines Jahres weniger Kinder geboren als Ältere sterben. Dem steht allerdings ein positives Wanderungssaldo gegenüber. Seit den 1950er Jahren zogen in den meisten Jahren mehr Menschen aus dem Ausland nach Deutschland als umgekehrt. Ansonsten würde die Bevölkerung in Deutschland schon seit über fünf Jahrzehnten zurückgehen, mit weitreichenden Konsequenzen für unser aller Leben.

Zuwanderung als wirtschaftliche Notwendigkeit

Für die deutsche Wirtschaft würde sich weniger Zuwanderung in einer Verschärfung des Fachkräftemangels niederschlagen. Dieser ist in vielen Branchen bereits jetzt spürbar. Das wird deutlich, wenn man durch deutsche Innenstädte bummelt. Geschäfte werben schon längst nicht mehr nur für ihre Produkte, sondern auch für ihre Arbeits- und Ausbildungsplätze. Sie überbieten sich regelrecht mit Angeboten wie flexiblen Arbeitszeiten, Jobticket oder betrieblicher Kinderbetreuung, um Arbeitskräfte anzuwerben.

Die Pflege ist in besonderem Maße davon betroffen. Denn immer weniger junge Menschen müssen immer mehr Ältere pflegen. Um den bevorstehenden Pflegenotstand abzuwenden, setzt die Bundesregierung im Rahmen der konstatierten Aktion Pflege unter anderem auf die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland. In der Altenpflege liegt der Anteil an ausländischen Pflegefachpersonen schon heute bei knapp 20 Prozent. Im gesamten Pflegesektor wächst der Anteil an Beschäftigten aus dem Ausland und ist seit 2022 alleine für das Beschäftigungswachstum verantwortlich. Denn die Zahl der deutschen Pflegefachpersonen ist seitdem rückläufig. Auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens sieht es ähnlich aus. Rund ein Viertel aller Ärzt:innen und Zahnärzt:innen ist zugewandert. 2022 wurden in der Zahnmedizin rund 600 Abschlüsse aus dem Ausland als voll gleichwertig anerkannt. 17 Prozent davon waren Menschen aus Syrien.

Vor diesem Hintergrund klingt es beinahe wie Hohn, wenn Kanzlerkandidat Merz behauptet, die Deutschen würden aufgrund der vielen Asylbewerber:innen so lange auf einen Termin für eine zahnmedizinische Behandlung warten.  Vielmehr sind es die zugewanderten Erwerbstätigen im Gesundheitssektor, dank denen es überhaupt noch möglich ist, einen Termin zu bekommen. Auch Sahra Wagenknecht, Vorsitzende des gleichnamigen Bündnisses BSW, scheint die demografischen Zusammenhänge nicht sehen zu wollen. Anders ist nicht zu erklären, dass beispielsweise am Stuttgarter Platz im Berliner Bezirk Charlottenburg zwei Wahlplakate des BSW mit gegensätzlichen Forderungen stehen. Auf dem einen ist zu lesen, dass unser Land mehr Lehrer:innen und Ärzt:innen verdient, auf dem anderen, dass unser Land weniger Migration wünscht.

Auch Frau Wagenknechts durchaus nachvollziehbare Forderung, dass unser Land mehr Rente verdient, hängt eng mit dem Thema Migration zusammen. Denn das deutsche Rentensystem profitiert davon, dass die Zuwanderung einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung entgegenwirkt. Der Anstieg von Beschäftigten mit ausländischer Staatsbürgerschaft stabilisiert die gesetzliche Rentenversicherung. Ihnen ist es zu verdanken, dass die Rentenbeiträge in den letzten Jahren weniger stark gestiegen sind.

Vielfalt bereichert unser aller Leben

Ganz abgesehen von wirtschaftlichen Faktoren und sozialer Stabilität bereichern Einwander:innen auf vielfältige Weise unser tägliches Leben. Menschen aus anderen Ländern und Kulturen bringen neue Perspektiven und Ideen mit und bereichern so das kulturelle und kulinarische Angebot. Das vor einigen Jahren sehr beliebte Zumba, eine Mischung aus Akrobatik und lateinamerikanischen Tänzen, stammt etwa aus Kolumbien. Wer bei Katze und Kuh nicht an einen Bauernhof denkt, sondern sich auf einer Sportmatte verrenkt, wandelt auf den Spuren der indischen Kultur. Bewegungsmuffel können dagegen mit Humus, Shawarma und Baklava in die syrische Kultur eintauchen und sich kulinarisch inspirieren lassen. 

All diese Aspekte fehlen in der aktuellen Migrationsdebatte. Anstatt einer differenzierten Betrachtung der Thematik, werden vor allem Ängste geschürt und Menschen aus dem Ausland über einen Kamm geschert. Das ist wenig zielführend und ungerecht gegenüber allen, die sich integrieren und unsere Gesellschaft auf unterschiedliche Weise bereichern. Wie beispielsweise die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Deren Zahl steigt seit Jahren an und ihr Anteil an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten lag 2023 bei rund 15 Prozent.  Die Antwort auf tragische Ereignisse wie in Aschaffenburg darf nicht zu einer pauschalen Vorverurteilung von Menschen aus dem Ausland führen. Vielmehr gilt es das Zusammenleben so zu gestalten, dass Eingewanderte und Einheimische gemeinsam für ein buntes, offenes und zukunftsfähiges Deutschland einstehen. Wir vom Berlin-Insitut empfehlen deshalb die demografische Perspektive einzunehmen, das Thema differenziert zu betrachten und Schutzsuchende willkommen zu heißen. Denn wenn wir diese Menschen schon nicht aus humanitären Gründen aufnehmen, so doch wenigstens aus Eigennutz.

Ansprechpartner

Dr. Frederick Sixtus

Projektkoordinator Demografie Deutschland

Telefon: 030 - 31 10 26 98

E-Mail schreiben: sixtus@berlin-institut.org

© Berlin-Institut

Dr. Florian Breitinger

Researcher

Telefon: +49 30 - 31 01 95 92

E-Mail schreiben: breitinger@berlin-institut.org

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