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  • Ausgabe 244 

Europa als Ziel? Die Zukunft der globalen Migration

  • Zuwanderung und Integration Internationale Demografiepolitik
© Berlin-Institut

Wie viele Menschen aus den verschiedensten Weltregionen werden sich in den kommenden Jahren auf nach Europa machen? Kommen sie, weil sie vor Krieg und Vertreibung flüchten, weil der Klimawandel ein Leben in ihren Heimatländern unmöglich macht oder weil sie anderswo Arbeit suchen? In der neuen Studie „Europa als Ziel? Die Zukunft der globalen Migration“ hat das Berlin-Institut untersucht, welche Faktoren internationale Wanderungen beeinflussen und wie sich diese auf das Migrationspotenzial in Richtung der EU auswirken könnten.

Weltweit tragen sich rund 750 Millionen Menschen mit dem Gedanken, in ein anderes Land zu ziehen, um dort zu arbeiten, mit ihren Familien zusammenzuleben, sich (weiter-)zubilden oder um Schutz vor Konflikten und Verfolgung zu suchen. Doch nicht aus jedem Wunsch wird tatsächlich auch eine Migration. Am Ende macht sich nur ein Bruchteil dieser Menschen auf den Weg. Weltweit lebten 2017 rund 258 Millionen Personen in einem anderen Land als dem ihrer Geburt. Was die Ziele anbelangt, wandern aktuell die meisten Menschen in die USA, nach Saudi-Arabien oder Russland. Mit Deutschland, Frankreich oder dem Vereinigten Königreich gehören aber auch einige EU-Mitgliedsstaaten zu den beliebten Wanderungszielen.

Für die Länder der EU ist es wichtig, die Voraussetzungen künftiger Wanderungen zu kennen: Denn in den kommenden Jahrzehnten werden die Bevölkerungen in allen Mitgliedsstaaten aufgrund geringer Kinderzahlen und steigender Lebenserwartung merklich altern. Das bedeutet weniger Arbeitskräfte, auf deren Leistungen und Einzahlungen in die Rentenkassen ein wachsender Anteil der Bevölkerung angewiesen sein wird. Allein aus ökonomischer Perspektive steigt damit der Zuwanderungsbedarf.

Welche Faktoren eine Migration fördern

Ob sich Menschen dazu entscheiden auszuwandern, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die sich oft noch gegenseitig beeinflussen. So bedeutet ein starkes Bevölkerungswachstum mehr Migration, weil sich dadurch die Konkurrenz um Nahrung, Wohnraum, Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen, vor allem aber um Arbeitsplätze verschärft. In der Regel wandern dann in erste Linie die besser gebildeten Menschen zwischen 20 und 39 Jahren und seltener die Älteren oder Jüngeren.
Doch auch für besser gebildete Menschen kommt eine Wanderung nur in Frage, wenn sie die finanziellen Mittel dafür aufbringen können. Die wirtschaftliche Entwicklung in einer Region bestimmt maßgeblich mit, wie viele Menschen ihren Migrationswunsch in die Tat umsetzten können. Erst ab einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von etwa 2.000 kaufkraftbereinigten US-Dollar beginnt die Migrationswahrscheinlichkeit deutlich zu steigen. Viele der ärmsten Länder weltweit erreichen diesen Wert aber gar nicht.

Eine weitere Grundlage für Migration sind Netzwerke, die oft historisch bedingt sind. Über sie können potenzielle Migranten Informationen sammeln und sich das relevante Wissen für eine Wanderung aneignen. Gerade zwischen Ländern mit einer früheren kolonialen Beziehung wie etwa zwischen Frankreich und Nord- oder Westafrika haben sich starke Netzwerke etabliert.

Während der größte Teil der internationalen Migration zu Erwerbszwecken erfolgt, müssen viele Menschen vor Krieg und Verfolgung fliehen. Vor allem in der Region Naher Osten/Nordafrika und in Südasien häufen sich derzeit die Konflikte. Verschärfend kommt hinzu, dass Umweltveränderungen und der Klimawandel die Lebensgrundlage vieler Menschen gefährden. Bisher wandern „Klimaflüchtlinge“, die häufig zu den ärmeren Bevölkerungsschichten gehören, nur über kurze Distanzen. Ihre Zahl dürfte aber künftig steigen und damit Verteilungskonflikte verschärfen.

Die Migrationspolitik kommt als weiterer Faktor hinzu. Sie dient dem Ziel, die Zuwanderung zu regeln, was häufig einer Abschottung gegenüber irregulärer Migration einerseits und der Öffnung für eine geregelte Fachkräftezuwanderung andererseits gleichkommt.

Regionale Unterschiede

Wie sich diese Faktoren auswirken und welche einen besonders starken Einfluss auf künftige Wanderungen haben dürften, unterscheidet sich regional stark. In Subsahara-Afrika wird sich das Migrationspotenzial deutlich erhöhen, wegen des anhaltenden Bevölkerungswachstums, welches Verteilungskonflikte verschärft, aber auch weil sich viele Länder in Sachen Bildung und Einkommen entwickeln und damit mehr Menschen in die Lage versetzen, eine Migration zu organisieren und zu finanzieren. Auch wenn die meisten von ihnen nur in Nachbarländer wandern, wo sie sich bessere Lebensbedingungen oder ein sicheres Einkommen erhoffen, wird die EU das Wunschziel vieler Menschen aus Subsahara-Afrika bleiben, allein schon aufgrund des enormen Wohlstandsgefälles zwischen beiden Regionen.

Auch die Region Naher Osten/Nordafrika erlebt noch ein starkes Bevölkerungswachstum und hat gleichzeitig zu wenig Jobs für die jungen Menschen, die auf den Arbeitsmarkt drängen. Es ist zudem die Weltregion mit den meisten Konflikten, mit den meisten Geflüchteten und erheblichen Folgen durch Klimawandel und Trinkwassermangel. Die räumliche Nähe zu Europa macht die Länder der EU zu einem der wichtigsten Wanderungsziele. Dem Wanderungspotenzial aus Nordafrika und dem Nahen Osten steht die europäische Migrationspolitik entgegen. So zielen viele EU-Staaten spätestens seit der sogenannten Flüchtlingskrise darauf, Migration möglichst stark einzuschränken. Tatsächlich ist die Zahl der irregulär Zugewanderten aus Afrika und dem Nahen Osten seither deutlich zurückgegangen, während gleichzeitig jedes Jahr hunderte Menschen beim Versuch, die EU zu erreichen, sterben.

In Ost- und Südostasien hingegen haben Wirtschaftswachstum und höhere Bildung neue Perspektiven für die Menschen geschaffen, so dass zum einen das Bevölkerungswachstum ausklingt und sich zum anderen in vielen Ländern selbst ein Zuwanderungsbedarf entwickelt. Die Bevölkerung in Ländern wie Japan, Südkorea oder China altert ähnlich wie in Europa, so dass die Abwanderungswahrscheinlichkeit sinkt. Wer dennoch über die eigene Region hinaus wandert, entscheidet sich eher für Nordamerika oder Australien als für die EU.

Die Studie „Europa als Ziel? Die Zukunft der globalen Migration“ untersucht die sieben wichtigsten Einflussgrößen für Migration für die Regionen Subsahara-Afrika, Südasien, Ost- und Südostasien, den postsowjetischen Raum sowie Lateinamerika und die Karibik.

Die Studie ist Teil des Projekts „Zuwanderer von morgen“, gefördert durch die Stiftung Mercator.

Steter Anstieg

Die EU zählt zu den Weltregionen, in denen die meisten internationalen Migranten leben. Die Grafik zeigt, wie sich die Zahl an Migranten in der EU seit 1990 verändert hat und aus welchen Regionen sie kamen. Die allermeisten Wanderungen fanden innerhalb der EU statt und sie haben mit den EU-Osterweiterungen Mitte der 2000er Jahre noch einmal zugenommen. Unter den Migranten von außerhalb der EU stellen jene aus der Region Naher Osten und Nordafrika (Mena) mit zuletzt über neun Millionen Personen die größte Gruppe. Dort finden sich mit der Türkei, Algerien und Marokko einige der wichtigsten Herkunftsländer für Migranten in der EU. © Berlin-Institut

ANSPRECHPARTNER:INNEN

Colette Rose

Projektkoordinatorin Internationale Demografie

Telefon: 030 - 31 01 95 91

E-Mail schreiben: rose@berlin-institut.org

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