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  • Ausgabe 253 

Schnell, bezahlbar, nachhaltig

  • Bevölkerungsentwicklung in Afrika
© Berlin-Institut

Schon mal was von „Leapfrogging“ gehört? Der Begriff beschreibt den Sprung zu technischen und sozialen Errungenschaften, die Menschen das Leben leichter machen, wobei ineffiziente, umweltschädliche und kostspielige Zwischenstufen der Entwicklung möglichst übersprungen werden. Als sich beispielsweise in Afrika um die Jahrtausendwende das mobile Telefonieren ausbreitete, dort, wo es zuvor kaum Festnetzverbindungen gab, war das Leapfrogging.

Heute gibt es auf dem Kontinent fast so viele Handys wie Bewohner. Menschen, die vorher keinen Zugang zu Bankkonten hatten, erledigen ihre Geldgeschäfte über das Telefon, können Kredite aufnehmen und Versicherungen abschließen. Sie nutzen landwirtschaftliche und medizinische Beratungsdienste oder digitale Bildungsangebote. Afrika ist damit weiter als viele hochentwickelte Länder. 

Leapfrogging kann auch in anderen Bereichen als nur dem Mobilfunk die Entwicklung Afrikas beschleunigen. Und das ist dringend nötig, denn auf dem Kontinent herrscht weltweit die größte Armut, die Menschen haben die geringsten Einkommen und den schlechtesten Bildungsstand. Die Lebenserwartung ist im globalen Vergleich die niedrigste und die Landwirtschaft kann die eigene Bevölkerung nicht ausreichend ernähren. Noch dazu macht das hohe Bevölkerungswachstum die Lösung der vielen Probleme nicht eben einfacher: Zum diesjährigen Weltbevölkerungstag am 11. Juli leben etwa 1,3 Milliarden Menschen auf dem Kontinent. 2050 dürften es mit 2,5 Milliarden nahezu doppelt so viele sein, die es zu versorgen gilt – mit Nahrung, Krankenhäusern, Schulen und Arbeitsplätzen.

Nicht die Fehler der Industrieländer wiederholen

Auf dem Weg der dringend notwendigen Entwicklung kann Afrika allerdings nicht dem Pfad folgen, den zuvor Europa oder die asiatischen Staaten genommen haben. Denn der Übergang von der agrarischen zur industrialisierten Gesellschaft war mit einem enormen Verbrauch fossiler Rohstoffe und dem massiven Ausstoß von Treibhausgasen verbunden. Die hochproduktive Landwirtschaft ernährt zwar die Menschen, aber sie bedroht die Biodiversität, verschmutzt das Grundwasser und lässt die Böden erodieren. Was Afrika braucht, ist Entwicklung ohne diese negativen Nebeneffekte.

Eine neue Studie des Berlin-Instituts hat untersucht, wo Afrika bereits in großen und vielen kleinen Schritten vorankommt, zügig, innovativ und bezahlbar, und zwar in drei Bereichen, die in frühen Stadien der Entwicklung von zentraler Bedeutung sind: Gesundheit, Bildung und Landwirtschaft. Denn nur eine gesunde, qualifizierte und ausreichend ernährte Bevölkerung kann sich eigene Perspektiven erarbeiten und die Wirtschaft ihrer Heimatländer voranbringen. Dabei geht es nicht nur um moderne technische Lösungen wie bei der mobilen Telefonie, sondern auch um ganz simple Veränderungen und soziale Errungenschaften. Etwa wenn Äthiopien in ländlichen Gebieten, wo es weder Ärzte noch Hospitäler gibt, eine Basisgesundheitsversorgung mit lokalen Gesundheitshelferinnen aufbaut und damit die Mütter- und Kindersterblichkeit entscheidend senkt. Oder wenn in einem südafrikanischen Armenviertel eine Schule versucht, die einfachen Dinge richtig zu machen und mit engagierten Lehrern, mit Leidenschaft und klaren Regeln die Jugendlichen so gut ausbildet, dass sie nach dem Sekundarabschluss reif für die Top-Universitäten des Landes sind. Beispiele für erfolgreiches Leapfrogging gibt es zuhauf, wie die Studie zeigt.

Gesundheit: Prävention ist die beste Medizin

In Südafrika können sich werdende Mütter von dem mobilen Informationsservice MomConnect kostenlos unterstützen und begleiten lassen. Sobald die Schwangerschaft in einer Klinik bestätigt ist, können sie sich per Kurzcode registrieren. Sodann erhalten sie mindestens zweimal wöchentlich SMS-Botschaften: Erinnerungen an Vorsorgetermine und Tipps, wie sie und ihr Baby gesund über die neun Monate kommen. Wenn Fragen auftauchen, tippt die Schwangere eine Textnachricht an MomConnect. Die Antwort liefert das System automatisiert per SMS. Nur bei schwierigen Fragen schalten sich Mitarbeiter persönlich ein. Ist die Geburt sicher überstanden, können die Frauen den Service auch für die ersten zwei Lebensjahre des Kindes in Anspruch nehmen. MomConnect eignet sich als Modell für andere Länder und für den Einsatz auch in anderen Programmen, etwa um HIV-Infizierte zur regelmäßigen Einnahme ihrer Medikamente anzuhalten.

Bildung: Wer nicht lesen lernt, kann nicht lernen

In Sachen Bildung geht es in der Studie unter anderem nach Kenia: Mit dem Tusome-Programm, Suaheli für „lass uns lesen“, ist das Land einen einfachen, systematischen Weg gegangen, um den Grundschulunterricht zu reformieren. In diesen ersten Schuljahren müssen die Kinder lesen und schreiben, also die Grundlagen des Lernens lernen. Vor Tusome konnten 38 Prozent der Schüler aus der zweiten Klassen überhaupt nicht lesen.

Tusome arbeitet mit drei Schlüsselansätzen: Erstens hat die Regierung messbare Ziele gesetzt und erwünschte Lernerfolge definiert. Zweitens unterstützte sie Schüler und Lehrer rechtzeitig, wenn sie die gesteckten Ziele nicht erreichen konnten. Und drittens überwacht sie das Erreichen der Ziele auf allen Ebenen. Dafür sorgten rund 1.200 eigens angestellte Curriculum Support Officers (CSOs), die als Berater die Bildungseinrichtungen regelmäßig besuchten, die Erfolge aller Schüler kontrollierten und die Lehrer dabei unterstützten, die pädagogischen Konzepte umzusetzen.

Die Kinder konnten nach nur drei Jahren sowohl in Englisch wie auch in Suaheli signifikant besser lesen als ihre Vorgänger. In der Klasse 2 erbrachten rund zwei Drittel die in ihrem Alter zu erwartende Leseleistung, rund doppelt so viele Kinder wie vor Beginn von Tusome.

Landwirtschaft: Teller füllen und Einkommen schaffen

In Nigeria hat das Sozialunternehmen Babban Gona ein innovatives Modell entwickelt, Kleinbauern zu höheren Erträgen und mehr Einkommen zu verhelfen. Die Bauern schließen sich zu „Vertrauensgruppen“ zusammen. Babban Gona kann sich über Partner aus Privatwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung kostengünstig Kapital beschaffen und den Mitgliedern Kredite zu weit besseren Konditionen anbieten als herkömmliche Banken. Die Bauern erhalten kein Geld, sondern Qualitäts-Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmittel für den jeweils geliehenen Betrag. Dank Großeinkauf kann Babban Gona diese Produkte ebenfalls preisgünstig anbieten. Mitarbeiter vor Ort kümmern sich darum, dass die Ware zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle ausgeliefert wird. Sie beraten die Bauern, welche Mengen sie benötigen und wie sie die Produkte optimal einsetzen. Die Organisation sammelt das Erntegut in zentralen Lagern, um es dann zum bestmöglichen Preis zu verkaufen. Mit Babban Gona konnten die Bauern in verschiedenen Regionen Nigerias ihre Erträge im Mittel auf das 2,3-Fache des nationalen Durchschnitts steigern. 

Leapfrogging allein reicht nicht

Wenn gute Ansätze, wie die in der Studie gesammelten, in die Breite getragen und hochskaliert werden, verbessert dies nicht nur die Lebensbedingungen von Millionen Afrikanern. Es trägt indirekt auch zu sinkenden Kinderzahlen bei, sodass sich das rasche Bevölkerungswachstum auf dem Kontinent langfristig verlangsamen lässt. Die vielen Beispiele in der Studie zeigen, dass Entwicklungssprünge in Afrika möglich sind. Aber dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen: Nötig sind gute Regierungsführung, verlässliche Institutionen und gute Infrastrukturen. Das sind die Aufgaben der afrikanischen Regierungen, um die Grundlagen für erfolgreiches Leapfrogging zu schaffen.

 

Die Studie wurde von der Bayer AG unterstützt und von den Autoren Sabine Sütterlin und Reiner Klingholz am Stellenbosch Institute for Advanced Study (STIAS) im südafrikanischen Stellenbosch erarbeitet.

Links & Downloads

Leapfrogging in Afrika

Unterstützen und kontrollieren – das Konzept von Tusome. © Berlin-Institut
Seit Beginn der Grünen Revolution in den 1960er Jahren haben Afrikas Bauern die Hektarerträge für alle Getreidearten zusammengenommen gerade mal verdoppelt. Im gleichen Zeitraum ist die Bevölkerung des Kontinents von rund 280 Millionen auf 1,3 Milliarden um das 4,6-fache gewachsen. Damit die Landwirtschaft auf dem Kontinent auf umweltverträgliche Weise produktiver wird, brauchen die Bauern Know-how und Beratung, Zugang zu Krediten und zu den Märkten, gesicherte Landrechte sowie Modernisierung und Mechanisierung. © Berlin-Institut

ANSPRECHPARTNER:INNEN

Sabine Sütterlin

Freie wissenschaftliche Mitarbeiterin

Sabine Sütterlin freie wissenschaftliche Mitarbeiterin

© Berlin-Institut

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