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  • Ausgabe 209 

Von Kirchtürmen und Netzwerken

  • Lebensverhältnisse in Stadt und Land Demografischer Wandel
© Berlin-Institut

In der Sonne glitzert das Wasser der Ems, die sich über das flache Land und durch weitläufige Felder und Wiesenlandschaften schlängelt. Immer wieder blitzen zwischen kleinen Waldstücken Dörfer oder vereinzelte Höfe hervor. In den Ortskernen und Wohngebieten fallen Blumenschmuck und herausgeputzte Vorgärten vor den roten Backsteinhäusern ins Auge. An den Rändern der Dörfer finden sich Neubausiedlungen, die auf einen Zuzug junger Familien hindeuten.

 

Das Besondere an diesem Bild ist: Beim Emsland handelt es sich um eine abgelegene ländliche Region, die herkömmlichen Bildern nach mit Abwanderung, Leerstand und schwindender Versorgung zu kämpfen hat. Warum dies nicht so ist, beleuchtet die neue Studie des Berlin-Instituts „Von Kirchtürmen und Netzwerken“. Dabei wurden die zivilgesellschaftlichen Strukturen in den drei Gemeinden Emsbüren, Thuine und Werpeloh untersucht und Interviews mit Engagierten aus Politik, Kirche, Vereinen sowie der lokalen Wirtschaft geführt.

 

Das Emsland entwickelt sich entgegen dem Trend ländlicher Räume

Die heile Welt des Landlebens ist heute eher die Ausnahme denn die Regel. In vielen entlegenen, ländlichen Gebieten häufen sich demografische, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Probleme. Nur wenige Gebiete können sich diesem Trend entziehen. Dazu gehört das niedersächsische Emsland. Hier treffen verschiedene günstige Faktoren aufeinander: regionale Wirtschaftsverflechtungen, ein innovativer Mittelstand, eine große Bereitschaft Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, eine enge Heimatverbundenheit und ein besonders positives Selbstbild der Region.

Aktive Bürger gestalten das Dorfleben

Ein Erfolgsfaktor ländlicher Räume ist eine starke Zivilgesellschaft. Denn auf dem Land sind es immer engagierte Menschen, die das Zusammenleben organisieren, Freizeitangebote schaffen, die Gemeinschaft stärken und damit für gute Lebensbedingungen sorgen. Dies zeigt sich auch im Emsland. Hier finden sich neben einem regen Vereinsleben noch enge Nachbarschaften sowie ein tief verwurzeltes Gefühl der Eigenverantwortung für die dörfliche Entwicklung. So stellen engagierte Einwohner Schützen- oder Erntedankfeste, Sportveranstaltungen, Plattdeutschtheater und viele weitere Aktivitäten auf die Beine. Die Nachbarn achten aufeinander, passen auch mal auf deren Kinder auf oder helfen sich gegenseitig bei größeren Arbeiten. Zudem entstehen über die Kommune oder den Landkreis, die Kirchen oder die Vereine Initiativen und Angebote, die mithilfe von Ehrenamtlichen verschiedene Dienste anbieten – von einem Bürgerbus und den mobilen Einkaufswagen über die ehrenamtliche Wohnberatung, Seniorenbegleiter, Mittagstische für Schulkinder, Ferienbetreuung, Flüchtlingshilfe und vieles mehr.

 

In diesem Umfeld wachsen die Emsländer mit einer großen Selbstverständlichkeit in die sozialen Strukturen und in verantwortungsvolle Aufgaben hinein. Sie erleben die Dorfgemeinschaft und die Vereinsstrukturen von klein auf und manche engagieren sich schon in jungen Jahren als Gruppenleiter, Jugendtrainer oder im Jugendvorstand von Vereinen.

 

Wie das Engagement im Emsland funktioniert

Dadurch, dass die Institutionen und Akteure in der Gemeinde über einzelne Personen eng miteinander vernetzt sind, funktioniert die Abstimmung zwischen ihnen nahezu von allein. Durch die vielfältigen Verflechtungen wissen die Bewohner, was in den zahlreichen Vereinen im Dorf, in der Pfarrgemeinde oder der Lokalpolitik passiert. Das erleichtert die Arbeit der Ehrenamtlichen. Denn sie finden in den meisten Fällen Mitstreiter für ihre Unternehmungen und wissen, wen sie bei einem bestimmten Vorhaben ansprechen müssen. Dieses informelle Netzwerk aus Menschen und Ideen ist der Werkzeugkasten des lokalen Engagements.

 

Doch die aktiven Dorfbewohner agieren nicht im luftleeren Raum. Sie können auf gewachsene Strukturen aus Vereinen, Kirche, Unternehmen und Kommune zurückgreifen, die auch einen Nährboden für neue Projekte bieten. So entstehen organisierte Nachbarschaftshilfen, Zukunftsbündnisse in den Dörfern oder Bildungsangebote für Geflüchtete. Diese neuen Inhalte des Engagements motivieren bisweilen auch Menschen, die zuvor wenig aktiv waren, und tragen damit zum Erhalt der gewachsenen Strukturen und der hohen Einsatzbereitschaft der Menschen bei.

 

Unterstützung erhalten die lokalen Engagierten auch von übergeordneter Ebene. Die regionalen Akteure – allen voran der Landkreis – haben erkannt, wie wertvoll das lokale Engagement ist und welchen Beitrag es zur positiven Entwicklung der Region leistet. Das Engagement wirkt dabei nicht nur nach innen, sondern verhilft der Region auch zu einem positiven Außenbild. Der Landkreis wirbt mittlerweile mit dem starken ehrenamtlichen Engagement für die Region.

Die Emsländer haben geschafft, etwas zu erhalten, was früher fast überall auf dem Land das Zusammenleben prägte: Subsidiäre Strukturen, in denen die Menschen eigenverantwortlich versuchen, den Herausforderungen und Problemen vor Ort zu begegnen. Unterstützt von den übergeordneten Institutionen wollen sie so auch den künftigen Herausforderungen begegnen, sich gemeinsam für ihre Mitmenschen und ihre Dörfer stark machen und die Region durch ihr Engagement voranbringen.

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Die Siedlungsstruktur des Emslands ist vergleichbar mit Kreisen in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg. Doch während viele dieser Gebiete mit Strukturwandel und Bevölkerungsschwund zu kämpfen haben, folgt das Emsland eher dem Trend der Ballungsräume. © Berlin-Institut
Durch die vielfältigen Verflechtungen wissen die Bewohner, was in den zahlreichen Vereinen im Dorf, in der Pfarrgemeinde oder der Lokalpolitik passiert und finden in den meisten Fällen Mitstreiter oder Ansprechpartner für ihre Unternehmungen. Bislang funktioniert dies im Emsland, weil die Einwohner auf die gewachsenen Strukturen aus Vereinen, Kirche und Kommune zurückgreifen können und diese wiederum durch ihr Engagement festigen und weiterentwickeln. Unterstützung erhalten die lokalen Engagierten auch von den regionalen Institutionen, welche die Rahmenbedingungen für lokales Engagement etwa in Form von Weiterbildungs- oder Förderprogrammen schaffen. © Berlin-Institut

ANSPRECHPARTNER:INNEN

Nele Disselkamp

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Telefon: 030 - 31 01 73 24

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