Pressemitteilung
  • Ausgabe 241 

Geteiltes Land

  • Demografischer Wandel Lebensverhältnisse in Stadt und Land
© Berlin-Institut

Anders als lange vorhergesagt, wächst in Deutschland die Bevölkerung. Heute leben zwischen Flensburg und Bodensee rund 83 Millionen Menschen – mehr als jemals zuvor. Hauptgrund dafür ist die Zuwanderung. Sie war in den Jahren 2015 und 2016 ungewöhnlich hoch, hat aber längst wieder abgenommen und dürfte auf mittlerem Niveau anhalten, bei einem durchschnittlichen Wanderungsgewinn von 260.000 Personen pro Jahr.

Eine neue Bevölkerungsprognose, die das Berlin-Institut berechnen lassen hat, geht unter dieser Annahme davon aus, dass die Einwohnerzahl Deutschlands trotz wachsender Sterbeüberschüsse bis 2035 mehr oder weniger konstant bleiben wird. Von der demografischen Verschnaufpause profitieren aber nicht alle Regionen gleichermaßen. Die Kluft zwischen den prosperierenden Landesteilen und jenen, denen die Menschen ausgehen, wird künftig größer. In allen fünf ostdeutschen Flächenländern wird der Prognose zufolge bis 2035 die Bevölkerungszahl abnehmen – am stärksten mit fast 16 Prozent in Sachsen-Anhalt, ein Land, das seit der Wende bereits 23 Prozent seiner Einwohner eingebüßt hat. Nicht viel besser sieht es in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern aus, wo im Vergleich zu 2017 Verluste von knapp 14 respektive 11 Prozent zu erwarten sind. In Brandenburg und Sachsen dürfte der prozentuale Bevölkerungsrückgang knapp einstellig bleiben. In Berlin stehen die Zeichen hingegen weiter auf Wachstum. Fast 11 Prozent mehr Hauptstädter dürfte es bis 2035 geben. In keinem anderen Bundesland wächst die Bevölkerung der Prognose nach stärker.

In Westdeutschland ist das Bild zweigeteilt. Das größte Bevölkerungsplus verzeichnet Hamburg und dürfte bis 2035 um 10 Prozent wachsen. Auch Baden-Württemberg, Bayern und Bremen werden voraussichtlich um rund vier Prozent zulegen. Hessen bleibt ebenfalls auf Wachstumskurs. Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein müssen mit leichtem Bevölkerungsrückgang von bis zu drei Prozent rechnen. Für das Saarland hingegen werden Verluste von fast neun Prozent prognostiziert. Das kleinste deutsche Flächenland erlebt damit eine ähnliche Entwicklung wie der Osten.

Attraktivität der Städte

Bevölkerungsmagnete bleiben vor allem die großen Städte samt Umland. Mit einem Plus von über 16 Prozent dürfte Leipzig zum relativen bundesweiten Spitzenreiter werden. Die mittlerweile größte sächsische Stadt gehört damit neben Potsdam, Dresden, Erfurt, Jena, Rostock, Halle und Magdeburg zu den wenigen Leuchttürmen in den fünf ostdeutschen Flächenländern. Auch die heute schon attraktiven Städte im Westen, von Hamburg über Köln, Frankfurt am Main, Mainz, Stuttgart bis München müssen sich trotz hoher Mieten und wachsender Verkehrsprobleme auf Zugewinne einstellen, insbesondere durch den Zustrom von jungen Menschen und Berufseinsteigern.

Viele Städte, besonders im Osten wachsen zu Lasten der ländlichen Regionen, in denen die Bevölkerung weiter schrumpfen wird. Deshalb finden sich im Osten nicht nur die am schnellsten wachsende Stadt der Republik, sondern auch die Regionen mit den höchsten prognostizierten Einwohnerrückgängen. Hier liegen 23 Kreise, die bis 2035 mehr als jeden fünften Einwohner verlieren dürften. Vor allem die natürliche Bevölkerungsentwicklung, also der Überschuss der Sterbefälle über die Geburten, wird den demografischen Abwärtstrend in diesen entlegenen Regionen beschleunigen. Schon heute und künftig noch mehr fehlt es an Menschen im potenziellen Familiengründungsalter, während die ersten Jahrgänge der Babyboomer langsam in ein Alter kommen, in dem der Tod wahrscheinlicher wird. Im brandenburgischen Landkreis Spree-Neiße dürften im Jahr 2035 auf eine Geburt über vier Beerdigungen kommen.

Die Alterung gewinnt an Fahrt

Im Zentrum der demografischen Entwicklung bis 2035 wird nicht die Zuwanderung, sondern die Alterung der Gesellschaft stehen. Die Babyboomer erreichen bald das Rentenalter und es ist zu erwarten, dass die Zahl der über 64-Jährigen um rund 4,8 Millionen steigen wird – ein Plus von 27 Prozent. Aber auch dieser Prozess wird sich regional sehr unterschiedlich auswirken.

Vorreiter bei der Alterung sind viele dünn besiedelte und entlegene Landstriche, aber auch mittelgroße ostdeutsche Städte wie das thüringische Suhl und Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt. Dort ist schon heute fast jeder dritte Bewohner über 64 Jahre alt. Den relativ stärksten Zuwachs an Älteren werden allerdings die bislang noch jungen und wirtschaftlich erfolgreichen Regionen erleben. Hier leben und arbeiten heute überproportional viele Menschen, die bis 2035 das Ruhestandsalter erreichen werden. In den niedersächsischen Kreisen Vechta und Cloppenburg, im bayerischen Freising oder Erding werden 2035 voraussichtlich zwischen 55 und 68 Prozent mehr über 64-Jährige leben als heute.

Die Alterung der Gesellschaft hat aber noch einen ganz anderen Effekt: In Regionen, wo in der Vergangenheit viele junge Menschen abgewandert sind und die Restbevölkerung bereits ein hohes Durchschnittsalter erreicht hat, wird es bis 2035 aus natürlichen Gründen zu einem absoluten Rückgang bei den Älteren kommen. Es handelt sich dabei ausschließlich um mittelgroße kreisfreie Städte, die einen extremen Strukturwandel hinter sich haben. Mit Dessau-Roßlau, Suhl, Chemnitz und Halle (Saale) liegen vier davon im Osten der Republik, hinzu kommt Wilhelmshaven an der niedersächsischen Nordseeküste.

Demografisches Zwischenhoch bei unter 20-Jährigen und schrumpfende Mitte

Lange ist deutschlandweit die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter 20 Jahren gesunken. 2009 gab es nur noch 665.000 Geburten. Doch 2017 kamen immerhin wieder 785.000 Kinder zur Welt. Dieser kleine Babyboom wird bei den unter 20-Jährigen bis 2035 für ein demografisches Zwischenhoch sorgen. Das bedeutet, dass dort, wo viele junge Menschen im Familiengründungsalter wohnen, der Bedarf an Kitas, Schulen und Studienplätzen wieder steigen wird.

Die größten Einbrüche wird es in der demografischen Mitte der Gesellschaft, in der Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen geben. Bis 2035 dürfte ihre Anzahl von heute rund 50 auf knapp 44 Millionen sinken – ein Minus von fast zwölf Prozent. Dieser Rückgang wird fast das ganze Land erfassen und vor große Herausforderungen stellen. Denn diese Gruppe erwirtschaftet im Wesentlichen unseren Wohlstand, sie zahlt in hohem Maße Steuern und Beiträge für die Sozialkassen.

Von den 401 Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland können nur 31 erwarten, dass die Zahl der Menschen im Alter von 20 bis 64 Jahren bis 2035 konstant bleibt oder gar wächst. Die Gewinner sind ausnahmslos Gebiete, die über ihre Ausbildungsstätten und Unternehmen in der Lage sind, junge Bildungs- oder Berufswanderer in großer Zahl anzuziehen, wie Leipzig, Landshut, Dresden und München. Wo dies nicht gelingt, etwa im Süden Brandenburgs, im thüringischen Landkreis Greiz oder dem Landkreis Stendal in Sachsen-Anhalt, sinkt die Zahl der Erwerbsfähigen deutlich – bis 2035 um die 40 Prozent. Die Hoffnung, dass diese Regionen wirtschaftlich aufschließen, dürfte sich damit kaum erfüllen.

Die regionale Bevölkerungsprognose wurde vom CIMA Institut für Regionalwirtschaft berechnet.

Die Studie wurde gefördert vom Nürnberg Institut für Marktentscheidungen e.V. sowie der Körber-Stiftung, der Investitionsbank Berlin und dem Förderkreis des Berlin-Instituts.

Wachsende Städte, schrumpfendes Land

Auch wenn sich bis zum Jahr 2035 die Gesamtbevölkerungszahl Deutschlands kaum verändern dürfte, weiten sich die regionalen Unterschiede aus. Rund 60 Prozent der Kreise und kreisfreien Städte werden der Prognose zufolge bis 2035 an Bevölkerung verlieren. Besonders hart trifft es Ostdeutschland, wo neben Berlin lediglich acht weitere Großstädte mit Wachstum zu rechnen haben, ländliche Regionen aber durchgängig verlieren. Aber auch im Westen der Republik zeichnen sich regionale Bevölkerungsverluste ab. © Berlin-Institut
Bereits in den vergangenen Jahren ist die Bevölkerung in Deutschland deutlich gealtert. Dieser Trend dürfte sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Die Altersgruppe der über 64-Jährigen dürfte auch künftig stark wachsen. Dagegen dürfte die Zahl der 20- bis 64-Jährigen bis 2035 deutlich sinken, allein in einigen wirtschaftsstarken Großstädten bleibt sie konstant. Die Zahl der unter 20-Jährigen stabilisiert sich hingegen, weil die Kinderzahlen je Frau in den letzten Jahren leicht gestiegen sind. © Berlin-Institut

ANSPRECHPARTNER:INNEN

Nele Disselkamp

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Telefon: 030 - 31 01 73 24

E-Mail schreiben: disselkamp@berlin-institut.org

© Berlin-Institut

Emily Ring

Duale Studentin

Telefon: 030 - 22 32 48 44

E-Mail schreiben: ring@berlin-institut.org

© Berlin-Institut

nach oben