Online-Workshop am 17. November 2022

Gelingensbedingungen und Herausforderungen teilhabeorientierter Integrationsarbeit auf kommunaler Ebene.

Können Kommunen mit ihrer Integrationsarbeit die Lebensverhältnisse vor Ort insgesamt verbessern, wenn sie nicht nur die neuen Bewohner:innen, sondern alle, die Unterstützung benötigen in den Blick nehmen? Wie gelingt es, ein solches teilhabeorientiertes Integrationsverständnis umzusetzen? Und welche Strukturen und Strategien braucht es vor Ort? Um diese Fragen zu diskutieren, lud das Berlin-Institut am 17. November 2022 zu einem virtuellen Workshop ein. Kreisvertreter:innen aus ganz Deutschland diskutierten über die praktische Bedeutsamkeit und die Umsetzung von Integrationskonzepten, über Erfolgsfaktoren und Hindernisse einer teilhabeorientierten Integrationsarbeit sowie über Strategien diese zu überwinden. Im Folgenden finden Sie die zentralen Diskussionsinhalte und –ergebnisse aus dem Workshop sowie eine knappe Definition von teilhabeorientierter Integration.

Was bedeutet teilhabeorientierte Integration?

Alle Bewohner:innen – Zugewanderte wie Alteingesessene – sollen unabhängig von den Voraussetzungen, die sie mitbringen, Zugang zu allen gesellschaftlichen Bereichen haben, wie zum Beispiel Arbeit, Bildung, Wohnen, Politik oder öffentlichem Leben. Integrationspolitik wird als Querschnittsaufgabe von allen Ressorts in der Verwaltung mitgedacht. Kommunale Maßnahmen und Angebote wenden sich an alle Bewohner:innen, die davon profitieren können.

Rolle des Integrationskonzepts

Stand der Umsetzung: Die Teilnehmenden beschrieben die Umsetzung der Integrationskonzepte in Ihren Kreisen oder kreisfreien Städten äußerst unterschiedlich. Ein solches Konzept kann eine große Chance für eine neue und fortschrittliche Integrationsarbeit sein und den Verantwortlichen dabei helfen, ihre Ideen festzuschreiben und umzusetzen. Allerdings sahen einige Teilnehmende auch die Gefahr, dass Integrationskonzepte die Verantwortlichen in ihrer Arbeit einen-gen. Die Konzepte sind mitunter nicht flexibel genug, um auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren, wie etwa auf die Fluchtbewegungen aus der Ukraine. Ein Integrationskonzept ist immer auch eine Gratwanderung: Einerseits braucht es langfristige Ziele und Verbindlichkeit, damit die Verantwortlichen bei der Kommune und den Trägern vorausschauend planen können. Andererseits ist aber auch eine gewisse Offenheit nötig, damit sie mithilfe kurzfristiger Maßnahmen auf aktuelle Geschehnisse reagieren können.

Funktionen und Relevanz des Integrationskonzeptes: Die Teilnehmenden stimmten weitgehend überein, dass Integrationskonzepte wichtige Instrumente einer teilhabeorientierten Integrationsarbeit sein können, sie diesem Anspruch in der Praxis aber häufig nicht gerecht werden. In der Diskussion kristallisierten sich zahlreiche Gründe dafür heraus: Manche Konzepte sind veraltet, für eine Überarbeitung fehlen aber die Ressourcen oder der politische Wille. Andere Konzepte enthalten Ziele, die außerhalb der Zuständigkeit von Integrationsbeauftragten liegen, oftmals teilen kommunale Führungspersonen die Positionen nicht umfänglich und vielerorts mangelt es an Unterstützung durch Schlüsselpersonen.

Grundsätzlich nutzen die Verwaltungen ihre Integrationskonzepte vor allem als Grundlage für den internen Austausch und die Diskussion mit der Politik sowie den Trägern der Integrationsarbeit. Die Konzepte informieren über die Integrationsstrategien und sorgen so für Transparenz. Häufig dienen die Konzepte den Kreisen auch zur Evaluation ihrer Integrationsarbeit.

Uneinigkeit herrschte bei der Frage, wie die praktische Relevanz der Konzepte gesteigert werden könnte. So vertraten etwa einige der Teilnehmende den Standpunkt, dass Integrationskonzepte möglichst offen formuliert sein sollten, um ihre Aktualität zu gewährleisten. Sie sollten eher Aufgabenbereiche definieren und weniger konkrete Maßnahmen oder Zuständigkeiten benennen. Nur dann könne man flexibel auf neue Herausforderungen reagieren. Eine zu große Offenheit berge allerdings das Risiko, sich in Allgemeinplätzen und Oberflächlichkeiten zu verlieren. Entsprechend waren andere Teilnehmende überzeugt, dass die Konzepte klare und differenziert formulierte Ziele und Maßnahmen bräuchten, um als Handlungsgrundlage zu dienen. Andernfalls lasse sich ein Integrationskonzept kaum ernsthaft evaluieren. Ein Ansatz, um beiden Anliegen gerecht zu werden, könne es sein, Integrationskonzepte stetig an die aktuelle Situation anzupassen. Daher sei es zentral, das Monitoring schon bei der Erstellung und Fortschreibung des Konzepts mitzudenken.

Integrationskonzept oder Einbindung in Stadtentwicklungskonzept? Ausgiebig diskutierten die Teilnehmenden die Frage, ob ein eigenes Integrationskonzept überhaupt zielführend ist, oder ob das Thema Integration aufgrund seines Querschnittscharakters nicht eher in ein allgemeines Stadtentwicklungskonzept eingebunden sein sollte. Die Mehrheit sah Integration zwar als Querschnittsthema, welches durchaus seinen Platz in einem allgemeinen Stadtentwicklungskonzept haben sollte. Gleichzeitig sei jedoch ein gesondertes Integrationskonzept notwendig. Vor allem bei der Anti-Diskriminierungsarbeit könne man nur hier den unterschiedlichen Betroffenengruppen und ihren spezifischen Bedarfen gerecht werden. Diversität gehöre unbedingt in ein Stadtentwicklungskonzept, um aber die unterschiedlichen Diskriminierungsstrukturen und die davon betroffenen Gruppen sichtbar zu machen, brauche es ein eigenes Integrations- oder Vielfaltskonzept.

Rahmenbedingungen

Die Integrationsbeauftragten diskutierten, wie etwa rechtliche Vorgaben auf Bundes- oder Landesebene eine teilhabeorientierte Integrationspolitik vor Ort beeinflussen. Besonders ausführlich sprachen sie aber über die lokalen Rahmenbedingungen, die den Stellenwert des Integrationskonzeptes und die Umsetzung eines teilhaborientierten Integrationsverständnisses maßgeblich mitbestimmen. Neben einer ausreichenden finanziellen und personellen Ausstattung der Kreise und kreisfreien Städte sei vor allem auch eine positive Grundeinstellung der Beschäftigten in der Verwaltung gegenüber den Themen Integration und Teilhabe entscheidend. Für eine erfolgreiche Umsetzung teilhabeorientierter Integrationspolitik sei es äußerst hilfreich, wenn sowohl die Mehrheit der Bevölkerung als auch die Politik, die Kreisverwaltung sowie die lokalen Organisationen und Unternehmen ein Verständnis von gelingender Integration teilten.

Strukturelle Verankerung: Der Stellenwert des Themas Integration zeigt sich auch an seiner Position innerhalb der Verwaltung: etwa als Stabsstelle direkt bei der Verwaltungsspitze oder eher als Arbeitsbereich in einer Fachabteilung. Ist Integration direkt dem oder der Oberbürgermeister:in oder Landrät:in angegliedert, ist das häufig ein Zeichen dafür, dass dieses Thema eine gewisse Priorität genießt. Es erhält dann mitunter eine größere Aufmerksamkeit und kann von oben in alle Fachbereiche ausstrahlen.

In der Praxis ist eine prominent angesiedelte Stabsstelle aber nicht immer ein Garant für die erwünschte Wirkung. Denn es kommt in hohem Maße auch auf die Befugnisse und Kompetenzen der Stabsstelle sowie auf die Mitwirkung der Verantwortlichen in den Fachabteilungen an. Mitunter fühlten diese sich für Integrations- oder Teilhabethemen nicht zuständig und schöben entsprechende Sachverhalte an andere Bereiche oder die Integrationsbeauftragten ab, berichteten einige Teilnehmende. Wenn auch noch politische Differenzen zwischen Abteilungsleitungen hinzukämen, seien mancherorts sogar Blockadehaltungen zu beobachten. Die Verantwortlichen stünden dann vor ähnlichen Herausforderungen wie ihre Kolleg:innen, die Fachabteilungen wie dem Sozialamt untergeordnet seien.

Grundsätzlich hilfreich seien Standing und Vernetzung der jeweiligen Leitungsebene und die Rückendeckung durch diese – sei es der Oberbürgermeister, die Landrätin oder die Abteilungsleitung. Die Teilnehmenden betonten, wenn sie selbstbestimmt arbeiten und ihre Vorhaben mit Nachdruck verfolgen könnten, dann gelänge es auch eher, die verantwortlichen Kolleg:innen zu erreichen, das in den Verwaltungen noch immer tief verankerte Säulendenken ansatzweise zu durchbrechen und Verbesserungen ins Rollen zu bringen. Die Zuordnung von Integration zu einem Fachbereich müsse dann kein Nachteil sein. Eine feste Verankerung in den Abläufen und Strukturen etwa des Sozialamts oder des Jobcenters könne dann sogar hilfreich sein – wenn es gelingt, dabei auch über den ei-genen Bereich hinaus zu wirken.

In der Diskussion wurde deutlich, dass viele Faktoren den Erfolg einer teilhabeorientierten Integrationsarbeit beeinflussen. Es kommt nicht nur darauf an, wo das Thema Integration in einer Verwaltung angesiedelt ist. Ähnlich entscheidend wie formale Hierarchen sind auch die informellen Machtverhältnisse ebenso wie die Einstellungen von Vorgesetzten, von Kolleg:innen und der politisch Verantwortlichen. Die Teilnehmenden berichteten, dass sie mit der jeweiligen Situation vor Ort umgehen und arbeiten müssten. Hierbei verfolgten sie verschiedene Strategien.

Strategien

Die Teilnehmenden berichteten von vielfältigen Hürden und Herausforderungen, wenn sie sich um eine teilhabeorientierte Integrationsarbeit bemühten: da-runter die Unwilligkeit, etwas an etablierten Verwaltungsabläufen zu verändern, ein starres Denken in Zuständigkeiten, fehlende finanzielle und personelle Ressourcen, aber auch stark abweichende Verständnisse davon, was Integration und Teilhabe überhaupt bedeuten sowie Fremdenfeindlichkeit. Um damit um-zugehen, entwickeln sie verschiedene Strategien. Das kann etwa ein „radikaler Opportunismus“ sein, also beispielsweise die Kooperation mit Partner:innen auf Schlüsselpersonen zu konzentrieren, die tatsächlich etwas bewirken können und mit Blick auf Integration ähnliche Ziele teilen. Eine solche Strategie kann es aber auch sein, die eigenen Anliegen in die Sprache und die Logik der Verantwortlichen in Verwaltung und Politik zu übersetzen. Sie betonen dann, gerne auch mithilfe anschaulicher Praxisbeispiele, wie die angesprochenen Personen von einer gelingenden Integration profitieren, um diese mit ins Boot zu holen.

Nicht zuletzt ist eine gute Vernetzung essenziell. Die Teilnehmenden arbeiten mit den lokalen Trägern, der Zivilgesellschaft, insbesondere den migrantischen Selbstorganisationen, mit Wirtschaft und Wissenschaft sowie der Verwaltung zusammen, um ihre Ideen voranzubringen.

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