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Auf Frauenrechte kommt es an

In vielen Ländern verbessert sich der Zugang von Frauen und Mädchen zu Bildung, Gesundheitsdiensten und Erwerbschancen. Doch eine global vernetzte Anti-Gender-Bewegung gefährdet viele Fortschritte.

Einen Paradigmenwechsel in der Bevölkerungspolitik hat vor 30 Jahren die Kairoer Weltbevölkerungskonferenz eingeläutet: Sie beschloss ein Aktionsprogramm, das sich von Sollzahlen und Planzielen verabschiedete und die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Vordergrund rückte – vor allem die der Frauen. Zuvor hatten Zielvorgaben für Geburtenkontrolle den bevölkerungspolitischen Diskurs und die Politik vieler Länder bestimmt, etwa der „Bevölkerungsriesen“ China und Indien; das führte immer wieder zu Zwangsmaßnahmen, um die Geburtenzahlen zu senken, und zu Menschenrechtsverletzungen. In der Erkenntnis, dass Familienplanung mehr sein muss als die Bereitstellung von Verhütungsmitteln, wurde in Kairo ein neues, umfassendes Konzept der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte des Individuums verkündet: ein ganzheitliches Gesundheitsverständnis, das körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden mit Blick auf Sexualität und Fortpflanzung einschließt. Dazu gehören Sexualaufklärung für Jugendliche genauso wie Schwangerschaftsvorsorge, Geburtshilfe, die Betreuung von Neugeborenen sowie die Behandlung von Geschlechtskrankheiten, HIV/Aids-Prävention und – wo es die Gesetzeslage erlaubt – sichere Abtreibungen. Zentrale Grundlage für das Recht auf Selbstbestimmung sind Gleichberechtigung, Bildung und die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen. Denn nur so können sie ihre Rechte auch wahrnehmen.

Viele Länder haben ihre Bevölkerungspolitik neu ausgerichtet

Der hart errungene Kairoer Konsens hat noch heute Gültigkeit und ist weiterhin handlungsleitend in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. An die Stelle von Geburtenkontrolle sind rechtebasierte Ansätze einer modernen Familienplanung getreten. Seit der Bevölkerungskonferenz in Kairo wurden so viele Erfolge erzielt: Das Sterberisiko von Müttern und Kindern ist deutlich gesunken, die Menschen leben fast überall auf der Welt länger und gesünder und die Chancen von Jungen und Mädchen auf Schulbildung sind heute deutlich besser als noch 1994. Die Zahl unbeabsichtigter Schwangerschaften ist weltweit zurückgegangen, die Wachstumsrate der Weltbevölkerung ebenso. Viele Länder haben nach Kairo ihre Bevölkerungspolitik neu ausgerichtet. Indien hat seine seit Jahrzehnten bestehende, auf Zielvorgaben und Plansolls ausgerichtete Familienplanungspolitik durch einen neuen Ansatz ersetzt, der sich an der Nachfrage und dem individuellen Bedarf im Bereich der reproduktiven Gesundheit orientiert. Dies schließt umfangreiche Gesundheitsdienstleistungen ein, darunter eine größere Auswahl an Verhütungsmethoden. Auch China begann nach und nach, seine rigide Ein-Kind-Politik zu lockern; 2016 wurde sie schließlich abgeschafft. Zu spät nach Ansicht vieler Fachleute: China altert heute schneller, als es reich wird. Im Mai 2021 ging China einen Schritt weiter und führte die sogenannte Drei-Kind-Politik ein. Aber alle Anreizprogramme für mehr Kinder werden die Hindernisse dafür nicht aus dem Weg räumen – wie extrem hohe Kosten für Bildung, Kinderbetreuung und Wohnraum sowie veränderte Einstellungen junger Chinesinnen, die dank höherer Bildungsabschlüsse finanziell unabhängiger sind als früher.

Gegenwind zur Geschlechtergerechtigkeit

Aber auch die Widerstände gegen die in Kairo getroffenen Vereinbarungen halten weltweit an. Strittig sind bis heute der Zugang zu moderner Familienplanung, Sexualaufklärung für Jugendliche sowie Schwangerschaftsabbrüche. In der US-amerikanischen Innen- und Außenpolitik – insbesondere bei Entwicklungshilfe im Gesundheitsbereich – ist das Thema Abtreibung seit Jahrzehnten stark umkämpft. Die katholische Kirche lehnt weiterhin jede Form der modernen Familienplanung ab. Der Gegenwind hat in den letzten Jahren sogar noch zugenommen durch eine wachsende und global vernetzte Anti-Gender-Bewegung, die sich unter anderem gegen Geschlechtergerechtigkeit und jegliche Rechte von LSBTIQ+-Personen einsetzt und für die Aufrechterhaltung der „traditionellen“ Familie kämpft.

Auch in vielen afrikanischen Ländern werden die sexuellen wie reproduktiven Rechte auf Selbstbestimmung zunehmend beschnitten. Prominentestes Beispiel ist Uganda, wo jüngst ein Gesetz, das Homosexualität kriminalisiert, bis hin zur Todesstrafe verschärft wurde. Seit 2022 dürfen Jugendliche in Kenia nur mit Zustimmung ihrer Eltern Verhütungsmittel im öffentlichen Gesundheitswesen bekommen, während in den Schulen meistens lediglich Abstinenz als altersadäquate Verhütungsmethode vermittelt wird. Der Auftrieb, den die Gegner des Kairoer Aktionsprogramms zurzeit weltweit erfahren, könnte künftig nicht nur weitere Fortschritte blockieren. Im schlimmsten Fall könnten bereits erzielte Erfolge in Sachen reproduktive und sexuelle Rechte wieder zunichtegemacht werden. Für die Jugendgeneration, die heute an der Schwelle zum Erwachsenenalter steht, wäre das fatal. Diese jungen Frauen und Männer werden mit ihrer Bereitschaft zum Wandel und dem Wunsch nach gesellschaftlicher Erneuerung entscheiden, wo es in der Zukunft langgeht – nicht nur in Sachen Demografie, sondern auch nachhaltiger Entwicklung. In sie müssen wir heute investieren. Denn sie sind nicht nur die Arbeitskräfte der Zukunft, sondern auch die Eltern der nächsten Generation.

Eine ungekürzte Version dieses Textes erschien im Januar 2024 in der Zeitschrift Welt-Sichten.

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