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  • Zum Weltbevölkerungsbericht 2022  - Berlin 

Wie unbeabsichtigte Schwangerschaften die demografische Entwicklung eines Landes beeinflussen

Weltweit ist jede zweite Schwangerschaft unbeabsichtigt. So werden 48 Prozent der Frauen schwanger, obwohl sie sich keine (weiteren) Kinder wünschen oder das Kinderkriegen lieber auf später verschieben wollen. Das geht aus dem aktuellen Weltbevölkerungsbericht des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) hervor. Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts, erklärt, was das für die demografische Entwicklung eines Landes bedeutet.

Was heißt eine unbeabsichtigte Schwangerschaften für Mädchen und Frauen – und wie wirkt sich das auf die demografische Entwicklung aus?

Catherina Hinz: Jedes Jahr müssen Millionen von Mädchen und Frauen wegen einer Schwangerschaft die Schule abbrechen. Dadurch haben sie weniger Chancen auf einen Schulabschluss und ein höheres Armutsrisiko, denn ihre Jobaussichten sinken. Eine schlechtere Bildung und Gesundheit – vor allem für Frauen und Mädchen –  sowie geringere Einkommen wirken sich wiederum auf die demografische Entwicklung eines Landes aus, denn sie treiben die Geburtenraten nach oben. Wenn Mädchen wegen einer unbeabsichtigten Schwangerschaft von der Schule fliegen, schwinden ihre Chancen auf eine selbstbestimmte Zukunft und sie bekommen früher weitere Kinder, auch das zeigt der Bericht. Umgekehrt bekommen Mädchen und Frauen, die nach eigenem Willen über ihren Körper entscheiden können, erst später Kinder und sie haben weniger Nachwuchs im Laufe ihres Lebens. Je gebildeter sie sind und je mehr sie über Verhütungsmittel wissen, desto eher können sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen und ihre (Kinder)Wünsche auch gegenüber ihrem Partner besser durchsetzen. So haben neben Investitionen in die Bildung und die Gesundheit von Frauen und Mädchen generell Sexualaufklärung und die Bereitstellung von Beratungsdiensten und Kontrazeptiva ein enormes Potenzial für die demografische Entwicklung eines Landes. 

Welche Rolle spielen humanitäre Krisen wie der aktuelle Ukraine-Krieg?

Hinz: In humanitären Krisen verschlechtert sich die Versorgung mit Verhütungsmitteln, sodass unbeabsichtigte Schwangerschaften zunehmen. Generell kommt es in Notsituationen immer wieder zu Rückschritten nicht nur bei der Familienplanung, sondern auch bei der Gesundheitsversorgung und Bildung, gerade wenn ganze Jahrgänge von Kindern mehrere Monate oder gar Jahre nicht zur Schule gehen können. Die Corona-Pandemie und jetzt der Krieg in der Ukraine sind nur zwei Beispiele dafür. Hinzu kommen auch durch den Klimawandel bedingte Naturkatastrophen, Flucht und Migration – alles weitere Krisen, in denen es schwierig ist, notwendige Dienstleistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit bereitzustellen und so die Anzahl der ungewollten Schwangerschaften zu vermindern.

Was tun, um die Krise der unbeabsichtigten Schwangerschaften zu bekämpfen?

Hinz: Zum einen muss der Zugang zu Verhütungsmitteln verbessern werden. Laut UNFPA-Bericht können 257 Millionen Mädchen und Frauen nicht verhüten, obwohl sie das gerne möchten. Außerdem müssen Barrieren abgebaut werden, wie etwa die Angst vor Nebenwirkungen von Kontrazeptiva, die Stigmatisierung von Frauen, die verhüten, und die ablehnende Haltung zum Thema Verhütung in ihrem Umfeld. Übrigens ist Armut und mangelnde Bildung nicht nur Folge von unbeabsichtigten Schwangerschaften, sondern zugleich auch ihre Ursache. Denn je gebildeter und ökonomisch unabhängiger Frauen sind, desto selbstbestimmter können sie entscheiden – auch in Sachen Familienplanung. Genau hier muss eine feministische Entwicklungspolitik ansetzen.

Die deutsche Kurzfassung „Verborgenes sehen: Die Krise der unbeabsichtigten Schwangerschaften“, finden Sie hier. Sie wurde von der Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) gemeinsam mit UNFPA und der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) herausgebracht. 

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