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  • Ausgabe 251 

Das alte Europa und der neue Virus

  • Demografischer Wandel

Das neuartige Virus Covid-19 hält die Bevölkerung in Deutschland und weltweit in Atem. Wie andere Länder auch hat Deutschland bereits weitreichende Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung zu verlangsamen. Die Menschen sollen möglichst zuhause bleiben und auf nahe Kontakte zu anderen weitgehend verzichten. Die politisch Verantwortlichen erhoffen sich damit, dass die Zahl der schweren Krankheitsverläufe die Belastungsgrenze des Gesundheitssystems nicht übersteigt.

Vor allem ältere Menschen haben ein erhöhtes Risiko, dass eine Infektion mit Covid-19 bei ihnen einen schweren Krankheitsverlauf hervorruft und sie daran sterben. Deutschland und seine europäischen Nachbarn stehen damit vor einer besonderen Herausforderung. Denn die Gesellschaften sind hier schon deutlich gealtert. Doch wo leben besonders viele ältere Menschen, die, wenn sie erkranken, die Versorgungseinrichtungen vor eine besondere Belastungsprobe stellen?

Deutschland: Wo viele Menschen schon im Rentenalter sind

Die Alterung der deutschen Bevölkerung verläuft regional sehr unterschiedlich. In Gebieten, aus denen in der Vergangenheit junge Menschen fortgezogen sind, leben anteilig viele Menschen über 64 Jahren. Betroffen sind vor allem dünn besiedelte und entlegene Landstriche, aber auch urbane Regionen, die mit einem harten Strukturwandel zu kämpfen hatten. In 59 der 401 kreisfreien Städte und Landkreise ist mehr als jeder vierte Bewohner über 64 Jahre alt. Im thüringischen Altenburger Land oder in der ostdeutschen Stadt Suhl ist es schon fast jeder dritte Bewohner. Gerade einmal halb so groß ist der Bevölkerungsanteil der über 64-Jährigen in den demografischen Boomregionen, etwa in Frankfurt am Main, im bayerischen Landkreis Freising oder im Kreis Vechta im westlichen Niedersachsen.

Und auch Hochaltrige sind in einigen Regionen besonders stark in der Bevölkerung vertreten. In 18 der 401 kreisfreien Städte und Landkreise in Deutschland sind mehr als 15 Prozent der Menschen älter als 74 Jahren. Dazu zählen etwa die ostdeutschen Städte und Landkreise Dessau-Roßlau, Görlitz, das Altenburger Land, Brandenburg an der Havel oder der Vogtlandkreis. Im Westen erreicht bislang kein Kreis einen solch hohen Bevölkerungsanteil bei den über 74-Jährigen. Goslar und Lüchow-Dannenberg liegen mit 14,8 Prozent respektive 14,6 Prozent noch knapp darunter.

Aber nicht nur der Anteil der Älteren entscheidet, ob die gesundheitliche Versorgung in einzelnen Landesteilen an ihre Belastungsgrenze stoßen könnte. Auch die absoluten Zahlen spielen eine Rolle. Viele der fast 18 Millionen Menschen im Alter 65+ leben in den Ballungsräumen der Republik. In Berlin, Hamburg und München sind etwa rund 1,3 Millionen Menschen von ihnen zuhause. Hier sind die Infektionszahlen absolut schon jetzt hoch und es ist zu befürchten, dass das nahe Zusammenleben in den urbanen Zentren eine weitere Ausbreitung begünstigt.

Europa: Wo die Alterung regional unterschiedlich verläuft

Die Alterung der Bevölkerungen lässt sich in ganz Europa beobachten. Im Jahr 1990 lag das Medianalter, das die Bevölkerung in eine jüngere und eine ältere Hälfte teilt, in der EU-27 noch bei gut 35 Jahren. Seitdem ist es auf knapp 43 Jahre angestiegen. Dieser demografische Trend, der in unterschiedlicher Stärke den gesamten Kontinent betrifft, lässt sich auf zwei Entwicklungen zurückführen: Einerseits leben die Menschen immer länger. Und andererseits werden weniger Kinder geboren als früher.

Insgesamt leben in Europa 90,5 Millionen Menschen, die bereits ihren 65. Geburtstag gefeiert haben. Das entspricht mehr als einem Fünftel der Gesamtbevölkerung in den EU-27 Ländern. Gut veranschaulichen lässt sich der demografische Trend der Alterung, indem die Zahl der über 64-Jährigen ins Verhältnis zu jenen im Erwerbsalter gesetzt wird – der sogenannte Altenquotient. Dieses Verhältnis liegt EU-weit derzeit etwa bei 32 Menschen der Altersgruppe 65+ je 100 Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren – also grob bei 1 zu 3. Vor allem in Italien ist die Alterung schon weiter fortgeschritten: Hier findet sich mit Ligurien auch eine der Regionen mit der ältesten Bevölkerung innerhalb der EU. In der norditalienischen Küstenregion liegt das Verhältnis von Erwerbsfähigen zu jenen im Rentenalter schon bei 1 zu 2. Eine hohe Lebenserwartung und eine geringe Geburtenziffer haben die italienische Bevölkerung landesweit stark altern lassen. Knapp 23 Prozent der Bevölkerung sind älter als 64 Jahre. Rund sieben Prozent der Bevölkerung haben bereits den 80. Geburtstag gefeiert – der höchste Anteil in Europa.

Ähnlich sieht es in anderen europäischen Ländern aus und die Gesundheitssysteme stehen hier ebenfalls vor großen Herausforderungen. Spanien hat die höchste Lebenserwartung in Europa – wer heute geboren wird, kann damit rechnen 83,4 Jahre alt zu werden. Auch deswegen ist in dem Land auf der iberischen Halbinsel fast ein Fünftel der Bevölkerung über 64 Jahre alt und damit Teil der Risikogruppe.

In Portugal ist die Situation vergleichbar. Noch in den 1990er Jahren war der westliche Nachbar Spaniens eines der Länder mit der höchsten Geburtenziffer – heute ist es das europäische Schlusslicht. Seitdem ist auch die Bevölkerung schnell gealtert. Auf 100 Menschen im Erwerbsalter kommen hier 34 Menschen im Rentenalter.

Aber auch in den entlegenen Gebieten Schwedens und Finnlands gibt es vergleichsweise viele ältere Menschen. Dort ist es vor allem die Abwanderung der jungen Bildungswanderer, die für einen hohen Altenquotienten sorgt. Dieses Schicksal teilen auch viele osteuropäische Länder: Hier haben vor allem junge Leute die neuen Möglichkeiten der Freizügigkeit in der EU genutzt und ihr Glück in den wirtschaftsstärkeren Ländern im Westen gesucht. In der aktuellen Pandemie verschärft dort die Gesundheitslage zusätzlich, dass unter denjenigen, die gegangen sind, auch viele Ärzte und Pflegekräfte waren. Der Mangel an medizinischem Personal könnte diese Länder nun in einer besonderen Weise herausfordern. In Rumänien, einem der ärmsten EU-Mitgliedsstaaten, kommen auf 100.000 Einwohner nur 293 Ärzte. In Deutschland sind es dagegen 425. Und das, obwohl gleichzeitig rumänische Universitäten relativ zur Einwohnerzahl besonders viele Mediziner ausbilden. Nur Malta und Irland haben EU-weit einen höheren Anteil an Medizin-Absolventen in der EU.

Quellen:

Eurostat (2020). Online-Datenbank. Luxemburg.
Robert Koch Institut (2020). SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19). Berlin.
Robert Koch Institut (2020). Covidd-19 Dashboard. bit.ly/3aoa9Qe
Slupina, M., Dähner, S., Reibstein, L. & Klingholz, R. (2019). Die demografische Lage der Nation. Wie zukunftsfähig Deutschlands Regionen sind. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Berlin.
Statistisches Bundesamt (2020). GENESISOnline Datenbank. Wiesbaden
Zeit Online (25.03.2020). Die Welt steht still. Nur Schweden nicht. bit.ly/2UCGnAf

Wer bei der Alterung weit vorne liegt in Deutschland und Europa

Anteilig an der Gesamtbevölkerung leben besonders viele Menschen über 64 Jahren im Osten Deutschlands. Während bundesweit der Anteil der über 64-Jährigen bei 21 Prozent liegt, sind es in Suhl und Dessau-Roßlau bereits über 30 Prozent. Aber auch im Westen Deutschlands gibt es Landkreise, in denen die Alterung schon weit vorangeschritten ist. Im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg konnten ebenfalls schon 28 Prozent der Bevölkerung ihren 65. Geburtstag feiern. © Berlin-Institut
Überall in Europa verschiebt sich das Verhältnis von Erwerbsfähigen und Ruheständlern in Richtung Letzterer. Der Altenquotient ist vor allem im Süden Europas, in Deutschland oder auch in Teilen Skandinaviens hoch. © Berlin-Institut

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