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  • Ausgabe 251 

Die Welt und das Virus – Was uns die Demografie über mögliche Krisenherde sagen kann

  • Bevölkerungsentwicklung in Afrika

Die Staaten Afrikas sollten sich auf das Schlimmste vorbereiten und damit am besten sofort anfangen. Mit diesen drastischen Worten mahnte der Äthiopier Tedros Adhanom Ghebreyesus, Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), schon vergangene Woche die afrikanischen Regierungen zur höchsten Alarmbereitschaft und zu raschen Maßnahmen im Kampf gegen das neuartige Corona-Virus. Der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, zeichnete bereits das Bild von sterbenden Menschen auf afrikanischen Straßen. Nicht zuletzt die Stimmen dieser Experten sorgen dafür, dass die Welt ihren Blick besorgt auf Afrika richtet. Schließlich ist der Kontinent in der Vergangenheit stets das Epizentrum von Krisen und Epidemien gewesen – wie könnte es da bei Corona anders sein?

Die Besorgnis ist aus vielerlei Hinsicht angebracht, vor allem angesichts der vielerorts maroden und unterfinanzierten Gesundheitssysteme auf dem Kontinent. Nahezu überall südlich der Sahara mangelt es an Krankenhäusern, medizinischem Material und dem entsprechenden Fachpersonal. Während in Deutschland laut WHO-Daten auf 10.000 Einwohner im Schnitt 42 Ärzte aller Fachrichtungen kommen, sind es im für afrikanische Verhältnisse gut versorgten Südafrika nur 9, in Malawi gerade einmal 0,16. Und das obwohl unser Nachbarkontinent unter allen Weltregionen die höchste Krankheitslast trägt – durch Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose, HIV/Aids oder Ebola.

Vorteil Jugend

Angesichts dessen erscheint es verwunderlich, dass die afrikanischen Staaten bislang noch immer vergleichsweise wenige Corona-Fälle zählen. Das könnte einerseits die Ruhe vor dem Sturm sein oder an einer hohen Dunkelziffer bei der Erkennung von Infizierten liegen. Vielleicht sind die niedrigen Fallzahlen auch dem relativ raschen Handeln vieler afrikanischer Regierungen zu verdanken, die zum Teil bereits drastische Maßnahmen verhängt haben. Oder der Kontinent profitiert gar von seiner Krisenerprobtheit im Umgang mit Epidemien wie etwa dem Ebola-Virus.

Ein weiterer Faktor, der dazu beitragen könnte, dass die afrikanischen Länder bislang weniger anfällig für das Virus zu sein scheinen, ist ihre Bevölkerungsstruktur. Denn nirgendwo sonst ist die Risikogruppe für eine schwere Erkrankung an COVID-19, in die das Robert-Koch-Institut alle Menschen ab 50 Jahren einstuft, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung kleiner als in den Staaten südlich der Sahara. Dort stellen die über 49-Jährigen weniger als 10 Prozent der Bevölkerung. Im deutlich älteren Europa sind es rund 40 Prozent. Der Grund für die in diesem Fall vorteilhafte Altersstruktur ist die Tatsache, dass sich die afrikanischen Staaten noch überwiegend am Anfang des sogenannten demografischen Übergangs befinden. Dementsprechend liegt die Lebenserwartung in Afrika weltweit am niedrigsten und die Geburtenziffer am höchsten, was den dortigen Staaten eine junge Durchschnittsbevölkerung beschert. Das Medianalter, das die Bevölkerung in zwei gleich große Gruppen teilt, liegt in Subsahara-Afrika mit rund 19 Jahren nicht einmal halb so hoch wie in Europa. Während die Demografie Afrika sonst vor allem Herausforderungen beschert – Stichwort Bevölkerungswachstum – könnte sie dem Kontinent im Kampf gegen das Corona-Virus nun einen Vorteil verschaffen.

Nachteil Alterung

In anderen Weltregionen sieht es dagegen anders aus. Und das nicht nur im alternden Europa, in Nordamerika und in Ostasien – also jenen Regionen, die zum jetzigen Zeitpunkt am stärksten vom Corona-Virus betroffen sind. Auch die Bevölkerung Zentral- und Südamerikas befindet sich zunehmend auf Alterungskurs. In den südamerikanischen Staaten ist das Medianalter seit dem Millenniumswechsel von 25 auf 32 Jahre gestiegen. In Europa stieg es im gleichen Zeitraum nur um etwa vier Jahre an. Die über 49-Jährigen stellen hier bereits ein Viertel der Bevölkerung, in Uruguay ist es fast ein Drittel. Die Gruppe der Menschen, die potentiell anfälliger für eine Erkrankung an COVID-19 ist, ist damit in Südamerika im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung mehr als doppelt so groß wie in Subsahara-Afrika.

Nachdem das Virus Ende Februar 2020 von Europa in die brasilianische Metropole São Paulo eingeschleppt wurde, ist es mittlerweile in allen Ländern der Region angekommen. In Brasilien ist die Zahl der Infizierten auf 2.500 gestiegen (Stand 26.03.), was dem brasilianischen Präsidenten Bolsonaro bislang allerdings noch keinen Grund gibt, die Gefahr ernst zu nehmen. Und das obwohl inzwischen auch die Armenviertel in Rio de Janeiro betroffen sind. Die Gefahr ist groß, dass Infektionen in der dortigen Bevölkerung weitreichende Folgen haben könnten – ein Risiko, das südamerikanische Metropolen mit afrikanischen Mega-Cities teilen. In vielen Ländern der Region wurden deshalb ebenfalls Ausgangssperren und Einreiseverbote verhängt. Die Gesundheitssysteme in der Region dürften unterschiedlich gut für den Umgang mit dem Virus gewappnet sein. Während in Argentinien und Uruguay etwa so viele Ärzte auf 10.000 Einwohner kommen wie in Deutschland, sind es in Brasilien 21 und in Chile gerade einmal 10. Zwar sind die staatlichen Ausgaben für den Gesundheitssektor in vielen südamerikanischen Ländern in den letzten beiden Jahrzehnten gestiegen. Insgesamt liegen sie aber meist deutlich unter dem OECD-Schnitt.

Hohe Krankheitslast, marode Gesundheitssysteme

Im demografischen Übergang noch weiter vorangeschritten als die zentral- und südamerikanischen Staaten – und dementsprechend aus demografischer Sicht noch eher potentielle Corona-Risikogebiete – sind die post-sowjetischen Staaten. Unter den ehemaligen UdSSR-Ländern liegt der Anteil der über 49-Jährigen am höchsten in der Ukraine (37,1 Prozent), gefolgt von Weißrussland (36,9 Prozent) und Russland (35,4 Prozent). Damit zählt über ein Drittel der Bevölkerung dieser Länder zur potentiellen Risikogruppe. In den kaukasischen Staaten Aserbaidschan, Armenien und Georgien sieht es ganz ähnlich aus. Hinzu kommt die vergleichsweise hohe Krankheitslast in den postsowjetischen Staaten, insbesondere unter Männern im Erwerbsalter, die vor allem auf einen hohen Alkohol- und Tabakkonsum zurückzuführen ist. Auch das könnte die Gesellschaften der ehemaligen UdSSR anfälliger für die Verbreitung des Corona-Virus machen.

Bislang liegt auch hier die Anzahl der an COVID-19 erkrankten Menschen auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. In Russland kommen auf 145 Millionen Menschen nur etwa 840 offiziell bestätigte Fälle. Laut Präsident Putin ist die Lage „unter Kontrolle“. Nicht nur Russland, sondern auch andere ehemaligen Sowjet-Staaten haben bereits Maßnahmen umgesetzt, um die Verbreitung des Virus einzudämmen, allerdings teilweise weniger restriktiv als in afrikanischen und südamerikanischen Ländern. Einzig in Weißrusslands, dem einzigen Land weltweit in dem zurzeit noch Fußballspiele mit Zuschauern stattfinden dürfen, scheint eine gewisse Gelassenheit zu herrschen. Sollte sich das Corona-Virus allerdings künftig weiter ausbreiten, dürften die Gesundheitssysteme in der Region relativ schlecht darauf vorbereitet sein. Zwar ist der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen überwiegend kostenlos und die Dichte an Medizinern in den meisten Ländern der ehemaligen UdSSR in etwa so hoch wie in Deutschland. Allerdings fehlt es häufig an der nötigen staatlichen Förderung, an moderner Ausrüstung und an angemessenen Löhnen für das Gesundheitspersonal.

Der Blick durch die demografische Brille zeigt, dass bei der Corona-Pandemie nicht unbedingt die üblichen Staaten, sprich jene in Subsahara-Afrika, das Schlimmste zu erwarten haben könnten. Die Bevölkerungsstruktur, gepaart mit strikten Maßnahmen und Unterstützung von außen, könnte den Kontinent im besten Fall vor einer Katastrophe bewahren. Die Weltgemeinschaft sollte deshalb nicht nur besorgt auf Afrika schauen, sondern auch andere Regionen in den Blick nehmen, insbesondere jene, die von einer zunehmenden Alterung betroffen sind. Neben Zentral- und Südamerika sowie den post-sowjetischen Staaten gehören dazu auch die rasch vergreisenden Staaten auf dem Westbalkan. Ebenso wenig dürfen die demografisch jüngeren, aber konfliktgebeutelten Staaten im Nahen Osten vergessen werden. Denn ein globaler Virus erfordert Hilfe und Unterstützung in allen Weltregionen.

 

Quellen

UN DESA, Population Division (2019). World Population Prospects. The 2019 Revision. New York.
Johns Hopkins University (2020) Coronavirus Resource Center. Baltimore.
WHO (o.J.). Global Health Observatory data. Density of medical doctors. Genf.
OECD (2018). Data. Health spending. Paris.
Watson, Katy (24.03.2020). Coronavirus in South America: How it became a class issue. BBC News, São Paulo.
Urech, Fabian (20.03.2020). WHO-Direktor sagt warnend: «Afrika muss sich auf das Schlimmste vorbereiten». NZZ, Zürich.
New Eastern Europe (2020). Coronavirus in the Eastern Partnership states. Krakau.

Alter Norden, junger Süden

Je weiter Länder und Regionen im demografischen Wandel vorangeschritten sind, umso älter ist ihre Bevölkerung. In Europa sind die Menschen mit einem Medianalter von 42 Jahren am ältesten, in Afrika am jüngsten. Da süd- und zentralamerikanische und vor allem die post-sowjetischen Staaten zunehmend altern, ist der Anteil der Bevölkerung, der in die Corona-Risikogruppe fällt, in diesen Regionen größer als in Afrika. © Berlin-Institut

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