Newsletter
  • Ausgabe 230 

Wie die Landwirtschaft zum Treiber für Entwicklung wird

  • Bevölkerungsentwicklung in Afrika Internationale Demografiepolitik
© Berlin-Institut

Afrika südlich der Sahara ist die Weltregion mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen und dem höchsten Bevölkerungswachstum. Nur durch wirtschaftliche Entwicklung und neue Perspektiven für die Menschen kann der Kontinent der Falle entkommen, in der ihn Armut und hohe Kinderzahlen gefangen halten.

Der überwiegend kleinbäuerlich geprägten Landwirtschaft kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Sie ist derzeit so unproduktiv, dass sie die eigene Bevölkerung nicht ausreichend ernähren kann. Sie hat aber die Chance, von Erfahrungen und Innovationen aus Europa zu profitieren und dabei gleichzeitig Fehlentwicklungen zu vermeiden. „Leapfrogging“, also das Überspringen überholter Technologiestufen, heißt in diesem Fall: mit intelligentem und effizientem Einsatz von Ressourcen höhere Erträge zu erzielen. Wenn es dann gelingt, Märkte zu erschließen, Rohprodukte vermehrt vor Ort weiterzuverarbeiten und die gewonnene Wertschöpfung zu reinvestieren, kann dies den notwendigen Strukturwandel auf dem Land einleiten, der die Landwirtschaft zum Entwicklungsmotor für viele afrikanische Länder macht.

Zwar verzeichnen viele der 49 Länder Subsahara-Afrikas in den letzten Jahren wirtschaftliches Wachstum. Doch weil die Bevölkerungen anhaltend stark wachsen, fallen die Pro-Kopf-Zuwächse des Bruttoinlandsprodukts bescheiden oder ganz aus. Die Fortschritte kommen dann nicht bei den Menschen an.

Eine wesentliche Ursache für das Bevölkerungswachstum liegt auf dem Land. Dort sind die Perspektiven auf Arbeit und Einkommen schlecht, weshalb die Kinderzahlen auf hohem Niveau bleiben. Beschäftigung bietet dort bisher vor allem die Landwirtschaft. 80 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe in Subsahara-Afrika sind kleinbäuerliche Familienbetriebe. Sie arbeiten meist mit einfachsten Mitteln, und nutzen nur selten moderne produktionssteigernde Mittel wie Maschinen, Saatgut, das auf hohe Erträge oder Schädlingsresistenz gezüchtet wurde, Dünger oder Pflanzenschutzmittel. Wenn die Bauern Überschüsse erzeugen, fehlt häufig die Infrastruktur für Lagerung, Transport und Verkauf auf den nächstgelegenen Märkten. Erschwerend kommt hinzu, dass Afrika südlich der Sahara in besonderem Maße von Folgen des Klimawandels wie Dürren oder Überschwemmungen betroffen ist.

Bis in die 1960er Jahre konnte Subsahara-Afrika seine Bevölkerung weitgehend selbst versorgen. Die im internationalen Vergleich geringe Produktivität der Landwirtschaft und das Bevölkerungswachstum haben indessen dazu geführt, dass Unterernährung und „versteckter Hunger“, also eine Unterversorgung mit Vitaminen und anderen für die Gesundheit unentbehrlichen Nährstoffen, heute verbreitet sind. Der Kontinent insgesamt führt mehr Nahrungsmittel aus der EU-28 ein, als er in diese exportiert. Und in den Export gehen überwiegend landwirtschaftliche Rohprodukte. Die Wertschöpfung aus der Weiterverarbeitung und Veredlung, etwa von Kakaobohnen zu Schokolade, findet woanders statt.

Entwicklung muss also sein. Die Landwirtschaft Subsahara-Afrikas hat das Potenzial, nicht nur die eigene Bevölkerung zu ernähren, sondern auch als Motor für Entwicklung insgesamt zu dienen: Flächen und Arbeitskräfte sind da, ebenso der prinzipielle Wille von Regierungen und Gebern, den Agrarsektor voranzubringen.

Historisch betrachtet war ein Strukturwandel in der Landwirtschaft immer und überall ein wichtiger, wenn nicht der Treiber für den Aufstieg aus der Armut und die ökonomische Entwicklung. Der Wandel begann stets damit, dass die Pro-Kopf-Produktivität der Landwirtschaft stieg. Damit konnte sie nicht nur die wachsende Bevölkerung ernähren, sondern auch Einkommen generieren und Arbeitskräfte freisetzen. Gleichzeitig entstanden Wirtschaftsbereiche rund um die Landwirtschaft, von der Zulieferung von Produktionsmitteln bis zum Vertrieb verarbeiteter Lebensmittel. Damit nahm auch die Industrialisierung Fahrt auf.

Wie kommt dieser Prozess in Afrika südlich der Sahara in Gang? Dafür gibt es kein einheitliches Patentrezept, aber viele Ideen und Ansätze. Im Kern muss die Landwirtschaft nachhaltig intensivieren. Das heißt, die Bauern müssen moderne Verfahren einsetzen, um je Fläche und Arbeitskraft mehr herauszuholen. Gleichzeitig sollten sie aber die Fehler vermeiden, die sich bei der Intensivierung der Agrarproduktion anderswo eingeschlichen haben, etwa der Artenschwund durch Pestizide und Monokulturen oder die Belastung des Grundwassers durch Überdüngung. Das Wissen ist vorhanden, wie Landwirtschaft ökologischer zu betreiben ist, sich mehr an Kreisläufen orientieren und die natürlichen Ressourcen schonen kann. Und die Möglichkeiten, es Kleinbauern auch in entlegenen Regionen nahezubringen, nehmen rasant zu – unter anderem dank der verbreiteten Nutzung von Handys: Per SMS können Bauern sich gegenseitig Ratschläge erteilen. Über mobile Dienste können Landwirte Informationen zu Marktpreisen einholen oder Kleinst-Versicherungen gegen wetterbedingte Schäden abschließen. Indes kann es auch genügen, altbewährte, aber verlorengegangene Bewirtschaftungsmethoden wieder einzuführen, zum Beispiel Mais anstatt in Monokulturen nur alle zwei Jahre, abwechselnd mit Hülsenfrüchten, anzubauen. Das spart Dünger, schont die Böden, schafft zusätzliches Einkommen und wertet den Speiseplan auf. 

Des Weiteren müssen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse vermehrt vor Ort zu handelsfähigen Produkten weiterverarbeitet werden. Das schafft Jobs auf dem Land, Perspektiven für die Menschen, erschließt lokale und regionale Märkte und macht mittelfristig Devisen fressende Lebensmitteleinfuhren überflüssig.

Ein Beispiel dafür, wie das gelingen kann, liefert der junge Tierarzt Bagoré Bathily in Senegal: Das Land deckt mehr als die Hälfte seines Verbrauchs an Milchprodukten aus Importen, vor allem in Form von Milchpulver aus den Überschüssen der EU-Landwirtschaft. Bathily hat 2006 eine Molkerei gegründet, die Milch von Hirten im Norden des Landes einsammelt und verarbeitet. Darüber hinaus hat er dafür gesorgt, dass die Hirten in der Trockenzeit, wenn das Gras im Norden nur noch spärlich wächst, Abfallstoffe der Reis- und Zuckerproduktion in der Region an ihre Tiere verfüttern können, die bisher nicht verwertet wurden. So müssen die Hirten mit ihren Herden nicht mehr nomadisieren und können ihre Kinder ganzjährig zur Schule schicken – eine der wichtigsten Voraussetzungen, um der Armut zu entkommen. Zudem führt Bathily gerade eine Kreuzung aus einer afrikanischen und einer europäischen Rinderrasse ein, die mehr Milch gibt als die traditionell gehaltenen Zebu-Rinder.

Bathily fand für sein Unternehmen private Investoren und konnte seinen Umsatz binnen zwölf Jahren verzwanzigfachen, auf umgerechnet acht Millionen Euro pro Jahr. Mit der Molkerei hat er 280 Arbeitsplätze geschaffen. Und die halbnomadischen Hirten sind zu Produzenten geworden, die mit den Abfällen der Reis- und Zuckerindustrie zusätzliche Wertschöpfung betreiben.

Das Beispiel macht deutlich: Unternehmergeist ist vorhanden. Er muss nur unterstützt werden. Dabei ist nicht nur die Agrarpolitik der Regierungen Subsahara-Afrikas gefragt, die günstige Rahmenbedingungen schaffen muss, sondern auch Investoren aus Afrika wie auch aus dem Ausland. In Landwirtschaft und den Aufbau von Wertschöpfungsketten in Subsahara-Afrika zu investieren könnte auch eine Aufgabe für die EU sein. Besser und langfristiger wirksam als Milchüberschüsse zu exportieren ist es allemal.

Jobs und Perspektiven für die Menschen schaffen – so kann Landwirtschaft zum Entwicklungsmotor werden. Bagoré Bathily sagt dazu einen bemerkenswerten Satz: „Viele Menschen hier träumen davon nach Europa zu gehen, um viel Geld zu verdienen. Ihre Vorbilder sind oft Fußballspieler, die es geschafft haben, aber selten Unternehmer.“

„Afrikas Agrarwirtschaft muss es erst einmal schaffen, die Bevölkerungen aus eigener Kraft zu versorgen“, erklärt Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung: „Doch erst wenn es gelingt, die Landwirtschaft nachhaltig zu intensivieren und Wertschöpfungsketten vor Ort aufzubauen, kann Subsahara-Afrika nicht nur in der Landwirtschaft, sondern in allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen seinen erheblichen Entwicklungsrückstand aufholen.“

Die Studie wurde gefördert von der Bayer-Stiftung und dem Förderkreis des Berlin-Instituts.

Links & Downloads

Anhaltendes Wachstum in Afrika südlich der Sahara

Rund eine Milliarde Menschen lebt heute in der Region zwischen Sahara und Kap der Guten Hoffnung. Ihre Zahl dürfte sich in den nächsten 30 Jahren etwas mehr als verdoppeln. Im westafrikanischen Niger, das mit über sieben Kindern je Frau die höchste Geburtenziffer weltweit aufweist, verdreifacht sich die Bevölkerung in diesem Zeitraum sogar. © Berlin-Institut
Obgleich Afrika südlich der Sahara fünfmal so viel Landwirtschaftsfläche aufweist wie die Länder der Europäischen Union und 2013 nahezu doppelt so viele Menschen beherbergte, produzierte es in dem Jahr weniger als zwei Drittel der Nahrungsmittelmenge, die Bauern in der EU-28 erzeugten. Cash Crops wie Tee, Kaffee oder Kakao, die Afrika vor allem für den Export produziert, fallen dabei kaum ins Gewicht. © Berlin-Institut

ANSPRECHPARTNER:INNEN

Berlin - Institut

allgemeine Anfragen

Telefon: 030 - 22 32 48 45

E-Mail schreiben: info@berlin-institut.org

Logo Berlin-Institut

© Berlin-Institut

nach oben