Pressemitteilung
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  • Neue Studie 

Neu im Dorf - Wie der Zuzug das Landleben verändert

  • Lebensverhältnisse in Stadt und Land Demografischer Wandel

Mehr Menschen in Deutschland ziehen heute aufs Land. Damit hat sich das Wanderungsgeschehen in den vergangenen zehn Jahren deutlich gewandelt. Der Zuzug eröffnet Chancen für den ländlichen Raum: So bleiben Schulen erhalten und dringend benötigte Fachkräfte kommen. Aber er bringt auch Herausforderungen, denn die Gemeinden müssen Infrastruktur vorhalten und die Neuzugezogenen integrieren. Zudem verändert sich das Leben in Dörfern und Kleinstädten, denn die neuen Nachbar:innen bringen eigene Bedürfnisse und Erwartungen mit. Eine aktuelle Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und der Wüstenrot Stiftung zeichnet das Wanderungsgeschehen der vergangenen Jahre detailliert nach und beschreibt anhand von sechs Fallbeispielen, was die neue Landlust für kleine Gemeinden bedeutet.

„Unsere Analyse der Wanderungsstatistik zeigt auf, dass sich inzwischen mehr Menschen für ein Leben auf dem Land entscheiden als noch vor einem Jahrzehnt“, sagt Frederick Sixtus vom Berlin-Institut. Aktuell erzielen deutschlandweit rund zwei von drei Landgemeinden Wanderungsgewinne – ein Jahrzehnt zuvor galt dies nur für rund jede vierte Landgemeinde. Eine ähnliche Entwicklung erlebten die Kleinstädte. „Diese Veränderungen im Wanderungsverhalten deuten sich schon länger an, seit 2017 hat die neue Landlust dann an Fahrt aufgenommen. Corona hat diesen Trend noch einmal verstärkt“, erläutert Sixtus weiter. Für die kleinen Gemeinden und Städte spielt es dabei kaum noch eine Rolle, ob sie in der Nähe einer Großstadt oder in der Peripherie liegen.


Zu Besuch bei neuen und alten Landbewohner:innen


„Das wachsende Interesse am Landleben ist für die kleinen Gemeinden grundsätzlich eine gute Nachricht“, sagt Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts. „Es bietet die Chance, viele demografische Herausforderungen ländlicher Regionen abzumildern.“ Junge Familien mit Kindern sorgen dafür, dass Schule und Kita erhalten bleiben und als Fachkräfte sind sie bei ländlichen Mittelständlern sehr begehrt. Der Zuzug stellt für kleine Gemeinden aber auch eine Herausforderung dar. „Neuzugezogene und Alteingesessene müssen das Zusammenleben aktiv gestalten. Eine funktionierende Dorfgemeinschaft ist kein Selbstläufer“, so Hinz.


Das Berlin-Institut hat quer durch die Republik sechs kleine Gemeinden, die zuletzt viel Zuzug erfahren haben, jeweils für rund eine Woche besucht, um zu erfahren, wie die neue Landlust das Zusammenleben auf dem Land verändert: das schwäbische Allmendingen in Baden-Württemberg, das am Nord-Ostseekanal gelegene Borgstedt in Schleswig-Holstein, Großharthau in Sachsen, das oberfränkische Mehlmeisel in Bayern, Sanitz bei Rostock in Mecklenburg-Vorpommern und Wanfried im hessischen Teil des Werratals. Wir haben mit Bewohner:innen mit und ohne offizielle Funktion gesprochen, wie sie sich das Leben auf dem Land vorstellen und wie sie es erleben und aktiv gestalten.


Zwischen Chance und Herausforderung


Es sind es vor allem Menschen im klassischen Familienalter zwischen 30 und 49 Jahren mit ihren minderjährigen Kindern und Berufseinsteiger zwischen 25 und 29 Jahren, die ländliche Regionen für sich entdecken. Erschwinglicher Wohnraum, eine gute Verkehrsanbindung, ein schneller Internetanschluss und eine gute Kinderbetreuung locken die Menschen in den Ort. Die Erwartungen an das Leben dort können sehr unterschiedlich sein. Wer selbst auf dem Land aufgewachsen ist und nur vorübergehend in der Stadt gelebt hat, weiß in der Regel, was ihn oder sie erwartet. Manche Zugezogene dagegen müssen das Zusammenleben auf dem Dorf erst (kennen)lernen. Wer in der Anonymität der Großstadt aufgewachsen ist, dem ist neu, dass sich vielerorts auf dem Land etwa auch Unbekannte grüßen, das Interesse aneinander größer und gegenseitige Hilfe selbstverständlich ist. Nicht immer wächst so zusammen, was zusammenwohnt. „Gerade wenn Zugezogene wie so häufig in Neubaugebiete außerhalb der Ortsmitte ziehen, ist mitunter die nächste Nachbarschaft erst einmal wichtiger als die eigentliche Dorfgemeinschaft“, erläutert Eva Eichenauer, Mitautorin der Studie. “Damit hier kein Nebeneinander oder ‚Dorf im Dorf‘ entsteht, braucht es Angebote wie Dorffeste und Orte, wo sich Neuzugezogene und Alteingesessene begegnen können.“


Was ein gutes Gemeinschaftsleben fördert

Vereine sind hier ein „Integrationsmotor“, wie es einer der befragten Bürgermeister beschreibt. Vielfältige zivilgesellschaftliche Strukturen sind für das Zusammenleben auf dem Land entscheidend. Im Förderverein des örtlichen Schwimmbads, im Sportverein oder bei gemeinschaftlich organisierten Seniorennachmittagen kommen die Menschen zusammen, lernen sich kennen und tragen zur Gestaltung des Ortes bei. Vereine sind zentrale Anlaufstellen für Zugezogene, um im Ort Fuß zu fassen. Darüber hinaus braucht es öffentlich zugängliche Orte, an denen die Menschen im Alltag zusammenkommen und sich austauschen können. Vielerorts auf dem Land verschwinden allerdings immer mehr Kneipen, Gaststätten oder Bäckereien im Ortskern.


Deshalb braucht es neue Ideen. Damit die Ortskerne wieder belebter werden, packen viele Menschen an und schaffen Treffpunkte. Sie machen aus Brachen und Leerständen lebendige Orte, eröffnen Pop-up-Stores oder Räume für Workshops, Ausstellungen, Konzerte oder Nachbarschaftstreffen. „Ideenreichtum und ehrenamtliches Engagement sind schon immer ein wesentlicher Garant für die Lebensqualität in Dörfern und kleinen Städten“, betont Manuel Slupina, Leiter des Themengebiets Stadt & Land der Wüstenrot Stiftung. „Mit den Zugezogenen kommen weitere potenziell Engagierte, die das Dorfleben mitgestalten und mit Ideen stärken können.“


Wie Gemeinden den Zuzug nachhaltig gestalten können


Die Verantwortlichen in den Rathäusern stehen vor der Aufgabe, den Zuzug nachhaltig und zukunftsgerichtet zu gestalten. Statt Einfamilienhaussiedlungen auf der grünen Wiese auszuschreiben, sollten sie zuerst die Innenentwicklung vorantreiben. Ortskerne, in denen Häuser verfallen und Begegnungsorte dichtmachen, laden nicht zum Verweilen und zum Austausch ein. Es braucht passende Wohn- und Infrastrukturangebote für alle Alters- und Einkommensgruppen. „Trotz aktueller Wanderungsgewinne schreitet die Alterung der Bevölkerung auch in den zuzugsstarken Gemeinden voran. Die Verantwortlichen sollten daher den demografischen Wandel weiter im Blick haben und beim Wohnangebot möglichst den gesamten Lebenszyklus im Ort ermöglichen, also für Junge, Familien und Ältere gleichermaßen“, so Catherina Hinz. Während ältere Menschen barrierefreie Wohnungen benötigen, vermissen gerade Jüngere auf dem Land Mietwohnungen. Mehrfamilienhäuser mit Wohnungen in verschiedener Größe und Ausstattung werden dabei eher den vielfältigen Wohnbedürfnissen gerecht als Einfamilienhäuser.


Neben der Ortsentwicklung müssen die Verantwortlichen vor allem auch die sozialen Rahmenbedingen im Blick behalten. Bürgermeister:innen, die offen sind für Ideen und ihre Gemeinde mitreißen können, schaffen es auch, neue Wege zu beschreiten. Arbeiten Gemeinden wertschätzend mit Vereinen zusammen und trauen sich, Alteingesessene wie Neuzugezogene in Planungs- und Entscheidungsprozesse einzubinden, dann können sich auch kleine Orte zukunftsgerichtet aufstellen.

Die Publikation
„Neu im Dorf - Wie der Zuzug das Landleben verändert“

steht Ihnen als Download zur Verfügung unter:

www.berlin-institut.org/studien-analysen/detail/neu-im-dorf/
Landlust neu vermessen & Neu im Dorf – Wüstenrot Stiftung (wuestenrot-stiftung.de)

Besuchen Sie auch unser interaktives Webangebot. Hier haben wir die zentralen Analyseergebnisse anschaulich zusammengefasst und aufbereitet. Außerdem können Sie hier die wichtigsten Daten zu allen Gemeinden in Deutschland abrufen: www.neuelandlust.de

Für Interviewanfragen wenden Sie sich gerne an:
Nele Disselkamp, disselkamp@berlin-institut.org, 030 31 01 73 24


Ansprechpartner:innen:
Frederick Sixtus, sixtus@berlin-institut.org, Tel.: 030-31 10 26 98
Eva Eichenauer, eichenauer@berlin-institut.org, Tel.: 030-31 01 68 35
Catherina Hinz, hinz@berlin-institut.org, Tel.: 030-22 32 48 45
Manuel Slupina, E-Mail: manuel.slupina@wstg.de, Tel.: 07141 16 75 65 11


Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein unabhängiger Thinktank, der sich mit Fragen regionaler und globaler demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Institut wurde 2000 als gemeinnützige Stiftung gegründet und hat die Aufgabe, das Bewusstsein für den demografischen Wandel zu schärfen, nachhaltige Entwicklung zu fördern, neue Ideen in die Politik einzubringen und Konzepte zur Lösung demografischer und entwicklungspolitischer Probleme zu erarbeiten. In seinen Studien, Diskussions- und Hintergrundpapieren bereitet das Berlin-Institut wissenschaftliche Informationen für den politischen Entscheidungsprozess auf. Weitere Informationen, wie auch die Möglichkeit, den kostenlosen regelmäßigen Newsletter „Demos“ zu abonnieren, finden Sie unter www.berlin-institut.org.


Wüstenrot Stiftung
Die Wüstenrot Stiftung kümmert sich um materielles und immaterielles kulturelles Erbe. Gleichzeitig sucht sie nach Wegen, wie sich unser Gemeinwesen den vielfältigen Herausforderungen der Zukunft stellen kann. Dabei betrachtet sie kulturelles Erbe als Ausgangs- und oft auch als Orientierungspunkt.
Ihr Ziel ist es, durch die Entwicklung und Verbreitung praxisorientierter Modelle Anstöße zu geben und über ihr eigenes Handeln hinaus positive Veränderungen zu bewirken. In ihren Themengebieten Denkmale, Zukunftsfragen, Stadt & Land, Literatur, Kunst & Kultur und Bildung konzipiert und realisiert sie eigene Projekte und fördert die Ideen und Vorhaben anderer gemeinnütziger Institutionen. Weitere Informationen finden Sie unter www.wuestenrot-stiftung.de.

ANSPRECHPARTNER:INNEN

Eva Eichenauer

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Telefon: 030 - 31 01 68 35

E-Mail schreiben: eichenauer@berlin-institut.org

© Berlin-Institut

Dr. Frederick Sixtus

Projektkoordinator Demografie Deutschland

Telefon: 030 - 31 10 26 98

E-Mail schreiben: sixtus@berlin-institut.org

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