Was tun, wenn das Wachstum schwindet?
Auf internationalen Gipfeln, in den Wirtschaftswissenschaften, im Grundgesetz oder in den Wahlprogrammen fast aller Parteien findet sich das gleiche Ziel: Wirtschaftswachstum. Nüchtern betrachtet erscheinen die Vorstellungen von einem anhaltenden oder sogar zunehmenden Wachstum jedoch unwahrscheinlich – zumindest in den klassischen Industrienationen. Denn dort geht es unabhängig von kurzfristigen Konjunkturzyklen seit Jahrzehnten kontinuierlich zurück. Zum Beispiel in Deutschland: Hierzulande lag das jährliche Wachstum im Mittel der 1950er Jahre noch bei rund acht Prozent, halbierte sich in den 1960ern und erreichte im Mittel der Jahre 2011 bis 2016 nur noch rund 1,5 Prozent.
Ähnliche Zahlen gelten für andere Länder: In Frankreich ist das Wirtschaftswachstum seit den 1950er bis zum Zeitraum 2011 bis 2015 von 4,7 auf 0,8 Prozent zurückgegangen. Bereits auf oder unter die Nulllinie gefallen sind die europäischen Krisenländer Spanien, Italien und Griechenland. Besonders stark und rasch erlebte Japan den wirtschaftlichen Rückgang: Während die Wirtschaft in der Boomphase der 1960er Jahre noch um etwa 10 Prozent wuchs, waren es in dem 1980ern noch knapp 5 Prozent. Seit der großen Krise des Jahres 1990 ist das Wachstum auf Durchschnittswerte um 1 Prozent abgesunken.
Warum das Wachstum schwindet
Das rückläufige Wachstum in den weit entwickelten Staaten ist keine Folge einer schwachen Konjunktur, sondern hat vermutlich strukturelle Gründe. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler, ehemalige Chefökonom der Weltbank und Ex-US-Finanzminister Lawrence Summers hat für das Phänomen einer hartnäckigen Wachstumsschwäche den Begriff der „säkularen Stagnation“ aus den 1930er Jahre wiederbelebt. Er entfachte damit die Diskussion, ob die Industrienationen auf dem Weg in eine „neue Normalität“ seien, in der wirtschaftliches Wachstum kaum noch zu bewerkstelligen ist.
Als Gründe für diese Entwicklung werden im Wesentlichen vier Faktoren genannt. Erstens neigt sich das Bevölkerungswachstum, das einst eine wesentliche Grundlage für Wirtschaftswachstum war, in einer immer größer werdenden Zahl von Ländern dem Ende zu. Mit Ausnahme von Israel erreicht etwa kein Industrieland mehr die bestandserhaltende Geburtenziffer von 2,1 Kindern je Frau. Gleichzeitig altern die Gesellschaften und der Anteil der Menschen im erwerbsfähigen Alter beginnt vielerorts bereits zu sinken, während jener im Rentenalter steigt. Dies wirkt sich ebenfalls schwächend auf das Wirtschaftswachstum aus.
Eine stagnierende oder gar schrumpfende Bevölkerung muss jedoch nicht zwangsläufig ein ökonomisches Problem sein, solange jener Teil der Bevölkerung, der wirtschaftlich aktiv ist, immer produktiver wird. Die Produktivität, die Fähigkeit mehr Güter mit gleichem oder sogar geringerem Aufwand herzustellen, ist der zweite wichtige Faktor für Wirtschaftswachstum. Doch sie erhöht sich trotz Globalisierung, immer neuer Erfindungen und digitaler Revolution immer langsamer und fällt damit ebenfalls als starker Wachstumsmotor aus.
Drittens verteilen sich in vielen Ländern der Welt der erwirtschaftete Wohlstand und die Vermögen immer ungleichmäßiger innerhalb der Gesellschaft. Von Wachstum, wenn es denn vorhanden ist, profitieren überproportional die höheren Einkommensgruppen, während die einkommensschwachen Haushalte immer weiter abgehängt werden, beklagt etwa die OECD. Dies schwäche das wirtschaftliche Wachstum und verhindere, dass Geringverdiener ihr Humankapital gewinnbringend einsetzen könnten. Als vierter Faktor wirken sich auch Umweltschäden negativ auf das Wirtschaftswachstum aus: Ausgelöst durch den hohen Rohstoffverbrauch und Treibhausgasemissionen können sie die Lebens- und damit Wirtschaftsbedingungen regional, aber auch global verschlechtern.
Die Studie "Was tun, wenn das Wachstum schwindet? Warum auf Staat, Bürger und Wirtschaft eine neue Normalität zukommen könnte" entstand in Zusammenarbeit und mit Förderung der Daimler und Benz Stiftung.