Wer schon viel hat, dem wird noch mehr gegeben?
Ein neues Discussion Paper des Berlin-Instituts und der Wüstenrot Stiftung beschreibt, warum der Eigenanteil bei Förderprogrammen strukturschwache Kommunen benachteiligt und diskutiert alternative Instrumente, mit denen sich auch klamme Kommunen bedarfsgerecht unterstützen ließen.
Viele Kommunen sind auf Fördermittel der Länder, des Bundes oder der Europäischen Union angewiesen. Allerdings können sich vor allem kleine und finanzschwächere Gemeinden die Fördermittel häufig nicht leisten. Sie scheitern nicht nur an den zeit- und personalintensiven Antragsverfahren, sondern auch am geforderten finanziellen Eigenanteil. Das Geld fließt dann eher in prosperierende Kommunen und nicht dorthin, wo es am dringendsten gebraucht wird. Ungleichheiten zwischen den Kommunen werden so eher verstärkt, als abgebaut – und diese Kluft könnte sich infolge der Corona-Pandemie sogar noch vergrößern.
Dabei ist es ein erklärtes Ziel der Bundesregierung, für „gleichwertige Lebensverhältnisse“ in allen Teilen des Landes zu sorgen. Förderprogramme sollen einen Ausgleich zwischen den prosperierenden und den weniger erfolgreichen Landesteilen und Kommunen schaffen. Wie gut die Lebensqualität vor Ort oder die Teilhabechancen der Bewohner sind, entscheidet sich maßgeblich auf kommunaler Ebene. Denn in Deutschland herrscht das tief verankerte Subsidiaritätsprinzip, das den Gemeinden eine größtmögliche Selbstbestimmung und Eigenverantwortung verleiht. Dieser Verantwortung können die Kommunen aber nur gerecht werden, wenn sie dafür auch die nötigen finanziellen Mittel haben. Das macht viele von ihnen abhängig von Fördermitteln
„Bitte nehmt das Geld!“
Diese Mittel gibt es aber nicht umsonst. Die Kommunen müssen sich an den Gesamtkosten beteiligen, wenn Land, Bund oder EU sie zum Beispiel beim Kita-Neubau oder bei einer Maßnahme zur Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen unterstützen. Auf diese Weise sollen sie nachweisen, dass sie tatsächlich Bedarf an dem geförderten Projekt haben und dazu gezwungen werden, dieses effizient zu planen.
Der Eigenanteil – selbst dann, wenn er „nur“ zehn Prozent beträgt – überfordert jedoch viele klamme Kommunen. Zuletzt unterlag rund jede fünfte deutsche Kommune der Kommunalaufsicht und arbeitete unter einem Haushaltssicherungskonzept. Für diese Kommunen ist es besonders schwer, an Fördermittel zu kommen. Sie müssen sich mitunter ihren besonderen Bedarf von der Kommunalaufsicht anerkennen lassen und dürfen nur in Ausnahmefällen neue Kredite aufnehmen, um den Eigenanteil von Förderprogrammen zu finanzieren. Der Bund legte 2015 ein Förderprogramm in Höhe von 3,5 Milliarden Euro auf, um gezielt strukturschwache Kommunen zu unterstützen. 2018 sollte das Geld eigentlich verteilt gewesen sein. Das Finanzministerium musste das Programm jedoch verlängern, da die Kommunen bis dahin nur einen Bruchteil der Mittel abgreifen konnten. Bundesfinanzminister Olaf Scholz ließ sich 2019 zu dem Aufruf hinreißen: „Bitte nehmt das Geld!“
Fördermittel – die Ausnahme wird zur Regel
Eigentlich sollten Fördermittel nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen, um neue Entwicklungen anzustoßen oder Missstände zu beheben. Sie sind nicht dafür gedacht, generell die Finanzkraft der Kommunen zu stärken. Doch für viele Kommunen sind Fördermittel mittlerweile unverzichtbar geworden. Und mit jedem weiteren Programm steigt die Abhängigkeit der Kommunen von diesen Zuweisungen. Im Jahr 2018 nutzten knapp neun von zehn Kommunen Fördermittel, um Projekte zu finanzieren. Der Anteil von Fördermitteln an der Finanzierung kommunaler Investitionen ist in den vergangenen Jahren zudem stetig gestiegen – von 19 Prozent im Jahr 2016 auf 27 Prozent 2018.
Teuer erkauftes Förderkorsett
Die Fördermittel kosten die Kommunen aber nicht nur den Eigenanteil, sondern vor allem auch den dringend notwendigen Gestaltungsspielraum. So mancher der von uns befragten Kommunalvertreter beschrieb die Situation daher als Förderkorsett, das nicht nur vorgibt, wie die Fördermittel zu verwenden sind, sondern über den geforderten Eigenanteil auch beeinflusst, wofür die Kommunen ihr eigenes Geld ausgeben. Das Fördersystem lenkt klamme Kommunen dann doppelt von ihren eigentlichen Prioritäten ab – weil sie eher Maßnahmen umsetzen, die gefördert werden, und sie zudem dringend notwendige Investitionsvorhaben zurückstellen, um mit dem gesparten Geld den Eigenanteil aufbringen zu können.
Für wohlhabende Kommunen stellt ein finanzieller Eigenanteil von zehn oder dreißig Prozent selten eine Hürde dar. Sie haben darüber hinaus häufig die Wahl, ob sie Fördergelder beantragen, oder ob sie wichtige Projekte komplett aus Eigenmitteln finanzieren. Denn dann können sie diese vollständig nach ihren Bedürfnissen umsetzen. Sie können sich umgekehrt dann dafür entscheiden, Fördermittel zu beantragen, wenn deren Zweckbindung dem Bedarf vor Ort weitgehend entspricht.
Alternativen zum Eigenanteil entwickeln
Damit sich die Kluft zwischen prosperierenden und eher strukturschwachen Kommunen nicht noch weiter vergrößert, müssen die Fördermittelgeber über alternative Ansätze nachdenken, um Kommunen bedarfsgerecht zu finanzieren. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie ist das wichtig, da vielen Kommunen die Gewerbesteuereinnahmen wegbrechen und sie vor noch nie dagewesenen Herausforderungen stehen.
Förderprogramme sollten daher die Möglichkeiten ausbauen, den Eigenanteil auch auf nicht-finanzielle Art zu erbringen, etwa in Form von Personal- oder Sachleistungen. Einige Förderrichtlinien lassen dies in einem gewissen Rahmen bereits zu. Kommunen würden profitieren, wenn zum Beispiel ehrenamtlich erbrachte Leistungen engagierter Bewohner unbürokratisch und pauschal auf den Eigenanteil angerechnet werden könnten. Bei wichtigen Projekten sollten Förderprogramme finanzschwache Kommunen gänzlich von der Kofinanzierung befreien oder zumindest zulassen, dass Kommunen verschiedene Programme miteinander kombinieren, um die Finanzierung zu stemmen.
Letztlich scheint es allerdings geboten, den Eigenanteil in Förderprogrammen grundsätzlich in Frage zu stellen. Der Bedarf in einer Kommune lässt sich auch anders feststellen. So kann etwa ein Kreis aus lokalen Akteuren aus Politik, Verbänden und Unternehmen über die Verteilung der Mittel entscheiden – denn sie wissen, woran es fehlt. Auf diese Weise verteilen zum Beispiel lokale Aktionsgruppen die Mittel der LEADER-Förderung, wobei man jedoch auch hier in der Regel nicht auf den finanziellen Eigenanteil verzichtet. Solche Regionalbudgets gestehen der kommunalen Ebene mehr Verantwortung zu. Ähnliches leisten auch die Investitionspauschalen der Länder. Dabei handelt es sich um Zuweisungen an die Kommunen, die diese nicht für laufende Kosten verwenden dürfen, sondern investieren müssen – teilweise an Bereiche gebunden wie Straßenbau oder Bildung, innerhalb derer die Kommunen aber frei entscheiden können, wie sie die Mittel bedarfsgerecht ausgeben. Die Länder vergeben Investitionspauschalen derzeit nur sehr zaghaft. Statt immer neue Förderprogramme aufzulegen, könnten sie Mittel stärker auf diese Weise verteilen und sich dabei auch noch mehr an den finanziellen Bedarfen in den einzelnen Kommunen orientieren. Die Kommunen erhalten dann die finanziellen Mittel und die Entscheidungsautonomie, um lokal angepasste Ideen und Konzepte voranzutreiben. Denn in der Regel sind es die Menschen vor Ort, die am besten wissen, was sie brauchen.
Das Discussion Paper ist ein gemeinsames Forschungsprojekt des Berlin-Instituts und der Wüstenrot Stiftung. Es kann kostenlos als PDF heruntergeladen werden.
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