Pressemitteilung
  • Ausgabe 252 

Auf ein Sterbenswort – Wie die alternde Gesellschaft dem Tod begegnen will

  • Demografischer Wandel
© Berlin-Institut

In den letzten Wochen führt uns die Covid-19-Pandemie deutlich vor Augen, wie Menschen gerade nicht aus dem Leben gehen wollen: Dort, wo die Gesundheitssysteme überlastet sind, müssen sie womöglich um eine gute palliative Versorgung bangen. Und selbst dort, wo die Umstände nicht so dramatisch sind, stellt die Kontaktsperre infrage, ob Sterbende in Krankenhäusern oder Hospizen so begleitet werden können, wie sie es sich wünschen – von ihren Angehörigen, aber auch von ehrenamtlichen Sterbebegleitern.

Die aktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Sterben ist einer akuten Krisensituation geschuldet. In Zukunft setzt der demografische Wandel das Thema weniger krisenhaft, aber dafür umso langfristiger auf die Agenda: In den nächsten Jahrzehnten werden die Sterbefälle hierzulande merklich ansteigen. Dafür sorgt die zunehmende Alterung der Gesellschaft. Heute stellen die über 80-Jährigen rund sechs Prozent der Bevölkerung. Ihr Anteil wird künftig weiter wachsen. Vorreiter dieser demografischen Entwicklung sind entlegene Regionen, wo schon heute viele Ältere leben und die Jungen sich mit dem Schulabschluss in Richtung Großstadt aufmachen. In einigen Landkreisen dürften im Jahr 2035 auf eine Geburt vier Beerdigungen kommen – heute liegt das Verhältnis dort bei eins zu zwei. Vielerorts dürften sich die Bewohner künftig somit eher beim Leichenschmaus begegnen als bei der Einschulung ihrer Enkel.

Wie die Befragten sich ihr Sterben wünschen

Gemäß der aktuellen Studie „Auf ein Sterbenswort“ sind die Wünsche der Bevölkerung eindeutig: Die Mehrheit der Befragten will schmerzfrei, nah am Gewohnten, selbstbestimmt, sozial eingebunden und gut versorgt sterben. Dieses Idealbild teilen Frauen wie Männer, Junge wie Alte, Arme wie Reiche, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Im Detail zeigt die repräsentative Umfrage, die der Studie zugrunde liegt:

  • Neun von zehn Befragte möchten ohne Schmerzen sterben.
  • Drei von vier würden am liebsten sterben, ohne vorher pflegebedürftig zu werden oder ihre vertraute Umgebung verlassen zu müssen.
  • Vier von fünf wollen möglichst lange selbstbestimmt leben. Dabei ist es ihnen wichtig, sich auf nahestehende Angehörige verlassen zu können.
  • Drei von vier wollen im Kreise ihrer Vertrauten sterben.
  • Vier von fünf wünschen sich eine gute medizinische Versorgung.

Um nachvollziehen zu können, wie die Haltungen zum Sterben entstehen, hat das Berlin-Institut außerdem mit 13 Menschen gesprochen, die sich stark mit dem Thema beschäftigen und schon Sterbende begleitet haben. Die Tiefeninterviews veranschaulichen, wen Menschen in der letzten Lebensphase an ihrer Seite haben wollen, was ihnen Angst macht, welche Hoffnungen sie für das „Danach“ haben, was sie vor ihrem Tod noch vollenden und wie sie erinnert werden möchten.

Laut den Umfrageergebnissen hängt die Haltung zum Sterben wesentlich mit zwei Aspekten zusammen. Erstens ist bedeutsam, ob Menschen Lücken in der palliativen Versorgung vor Ort wahrnehmen. Wo die Einwohner Defizite sehen, nehmen sie ihr soziales Umfeld stärker in die Verantwortung.

Zweitens prägen sich gute wie schlechte Erfahrungen in der Sterbebegleitung ein und spiegeln sich in Wünschen und manchmal auch Sorgen rund um das eigene Lebensende wider. Wer sich schon um Sterbende gekümmert hat, beschäftigt sich häufiger und anders mit dem eigenen Tod. Insgesamt betonen ehemalige Sterbebegleiter, wie positiv sie die Zeit trotz aller Herausforderungen empfunden haben.

Das Sterben als Gemeinschaftsaufgabe besprechen und gestalten

Die Mehrheit der Befragten erklärt sich bereit, Angehörigen und Freunden im Sterben beizustehen, allerdings sind 27 Prozent noch unentschlossen. Die Begleiter brauchen neben Informationen über den Sterbeprozess Entlastung. Palliative Dienste, das soziale Umfeld sowie der Arbeitgeber können und sollten hierfür sorgen – so lautet eine der Forderungen aus der Studie. Sie empfiehlt darüber hinaus, innerhalb der professionellen Strukturen und auch im bürgerschaftlichen Miteinander eine Sorgekultur zu fördern.

Neben diesen Empfehlungen, die sich konkret auf die Sterbebegleitung beziehen, fordert die Studie zu einem größeren gesellschaftlichen Austausch über das Sterben auf. Interviews und Umfrage zeigen: Zwar reden die meisten Menschen innerhalb der Familie über das Sterben, doch nicht immer bietet sie den passenden Rahmen. Zudem sehen es drei von vier Befragten als Missstand an, dass das Thema Sterben verdrängt wird. Den Bedarf zur Auseinander-setzung können und sollten gemäß Studie alle gesellschaftlichen Akteure – von den Medien, über Politik und Unternehmen bis hin zur Zivilgesellschaft – aufgreifen und sich dabei unterschiedlicher Formate bedienen.

Nicht nur die demografische Entwicklung, sondern auch veränderte Lebensentwürfe machen es notwendig, einen anderen Umgang mit dem Sterben zu finden. 76 Prozent der Bevölkerung möchte im Kreise von Vertrauten sterben, gleichzeitig steigt seit Jahren besonders unter den Älteren die Zahl der Singlehaushalte; Familien und Freunde wohnen immer öfter verstreut über weite Distanzen. Wunsch und Wirklichkeit klaffen somit nicht nur in Krisenzeiten wie der aktuellen Covid-19-Pandemie zunehmend auseinander. Aus diesen Gründen war es dem Berlin-Institut, der Körber-Stiftung und der Software AG – Stiftung ein Anliegen, zu einer stärkeren Beschäftigung mit dem Sterben anzuregen. Die repräsentative Umfrage und die Tiefeninterviews, die der Studie „Auf ein Sterbenswort“ zugrunde liegen, stammen aus dem Spätherbst 2019 und damit aus einer Zeit, in der Corona nur Virologen und anderen Experten ein Begriff war. Die Wünsche und Ängste zum Sterben, die die Presse derzeit vor allem im Zusammenhang mit der Kontaktsperre thematisiert, kann die Studie untermauern und zahlenmäßig belegen. Sie gibt allerdings keine Empfehlungen dazu, wie die Sterbebegleitung in der aktuellen Ausnahmesituation ablaufen kann, sondern bezieht sich auf normale Zeiten – wobei diese Normalität sich demografisch bedingt ändern wird.

Die Studie wurde vom Berlin-Institut in Zusammenarbeit mit der Körber-Stiftung und der Software AG – Stiftung erstellt.

Links & Downloads

Wo das Sterben in den Alltag drängt

In Teilen Süd- und Nordwestdeutschlands starben 2017 bis zu neun Personen pro 1.000 Einwohner. Bis 2035 dürfte es kaum noch Kreise in Deutschland geben, deren Sterberaten derart niedrig liegen. Im Gegenteil: In den meisten Orten werden dann vermutlich zwischen zwölf und 15 Sterbefälle auf 1.000 Einwohner kommen. Deutlich höhere Raten sind in den ostdeutschen Bundesländern sowie in Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zu erwarten. Für einige Regionen wie den Kyffhäuserkreis, das Altenburger Land oder Görlitz kommen die Prognosen sogar auf bis zu 23 Sterbefälle pro 1.000 Einwohner. © Berlin-Institut
Je kleiner der Wohnort, desto eher vermissen die Bewohner ambulante palliativmedizinische Angebote sowie Hospize. Mit dieser Einschätzung liegen sie nicht ganz falsch: In Großstädten wie Hamburg oder Berlin finden sich gemessen an der Einwohnerzahl mehr Hospizbetten, was vermutlich daran liegt, dass sie dort ihre Kapazitäten besser auslasten können als in entlegenen, ländlichen Regionen." © Berlin-Institut

ANSPRECHPARTNER:INNEN

Colette Rose

Projektkoordinatorin Internationale Demografie

Telefon: 030 - 31 01 95 91

E-Mail schreiben: rose@berlin-institut.org

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Constantin Wazinski

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

Telefon: 030 - 31 01 77 67

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