Pressemitteilung
  • Ausgabe 196 

Newsletter zur Studie „Im Osten auf Wanderschaft – Wie Umzüge die demografische Landkarte zwischen Rügen und Erzgebirge verändern“

  • Demografischer Wandel
© Berlin-Institut

Nach dem Fall der Mauer wanderten viele Menschen aus den östlichen Bundesländern ab. Insgesamt haben seither rund 1,8 Millionen Menschen dem Osten Deutschlands den Rücken gekehrt und sind in den Westen gegangen. Dieser Wanderungsstrom hat mittlerweile ein Ende gefunden und die Einwohnerzahlen stabilisieren sich. Im Jahr 2012 zogen erstmals seit langem mehr Menschen aus dem Westen und dem Ausland in die fünf ostdeutschen Flächenländer als von dort weg.

Von dieser Trendwende profitiert allerdings nur eine Minderheit der ostdeutschen Gemeinden. Dies belegt die aktuelle Studie „Im Osten auf Wanderschaft“ des Berlin-Instituts. Die Analyse aller Zu- und Fortzüge von insgesamt 2.695 ostdeutschen Gemeinden zwischen 2008 und 2013 zeigt: Nur 15 Prozent von ihnen konnten im Saldo einen Wanderungsgewinn einfahren. Die überwiegende Mehrheit von 85 Prozent verliert weiterhin Einwohner durch Abwanderung. Die Kluft zwischen den Wachstums- und Schrumpfregionen wird größer.

Allerdings haben nicht alle Wanderer das gleiche Ziel. Im Laufe eines Lebens verändert sich nicht nur die Vorstellung des Wunsch-Wohnorts, sondern auch die Bereitschaft umzuziehen. Verschiedene Altersgruppen weisen daher unterschiedliche Wanderungsmuster auf.

Bildungs- und Berufswanderer zieht es in die Ballungsräume

So verlassen die 18- bis 24-jährigen Bildungswanderer vermehrt die ländlichen Regionen, insbesondere die abgelegenen, und streben in die Ballungsräume des Ostens. Neben großen Universitätsstädten wie Leipzig, Dresden oder Jena können auch kleine Hochschulstandorte wie Ilmenau oder Schmalkalden Bildungswanderer anziehen. Langfristig können vor allem die kleineren Städte die jungen Zugezogenen jedoch nicht halten. Nach dem Studium ziehen viele junge Erwachsene weiter.

Raus aus den Dörfern, rein in die Großstädte

 

Auch die Berufswanderer im Alter zwischen 25 und 29 zieht es in die neun ostdeutschen Großstädte. Letztere können dadurch im Unterschied zu den Gemeindegruppen mit weniger Einwohnern im Schnitt einen positiven Wanderungssaldo verbuchen. Eine hohe Anziehungskraft haben dabei die beiden Großstädte Leipzig und Potsdam. Trotzdem sind die Berufswanderer die einzige Altersgruppe, die auch 2013 im Saldo noch die neuen Bundesländer verlassen haben. Ein Ende der Abwanderung ist allerdings dank der Attraktivität der Großstädte auch hier absehbar.

Dieser Trend zeigt, dass im Osten neben Berlin wieder wirtschaftstarke, urbane Zentren entstanden sind, was für die weitere Entwicklung neuen Bundesländer von großer Bedeutung ist. Nur wenn sie Hochschulen, Unternehmen, attraktiven Wohnraum und Kulturstätten bieten, können sie im nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen, Fachkräfte aus dem In- und Ausland und Investoren anlocken. Sie können zu Wachstumsinseln in einem schrumpfenden Umfeld werden.

Für Familien sind auch Randregionen attraktiv

Ganz anders verhalten sich die Familienwanderer: Sie ziehen eher in ländliche ostdeutsche Gemeinden. Kleine Kommunen sind bei den 30- bis 49-Jährigen mit Nachwuchs beliebter als große, städtische. Für diese können selbst abgelegene Dörfer attraktiv sein. Allerdings kann die Zuwanderung von Menschen im Familienalter die Verluste der ländlichen Regionen bei den Bildungs- und Berufswanderern nicht ausgleichen.

Ländliche Gemeinden mit Familienzuzug sollten daher die Möglichkeit bekommen, ihr familienfreundliches Umfeld zu erhalten. Dazu gehört neben einer Kindertagesstätte auch eine Grundschule. Um deren Bestand zu sichern, sind neue Konzepte gefragt, die über die bisherigen institutionellen Lösungen hinausgehen. Starre Vorgaben wie Mindestgrößen für Schulen sind zu überdenken. Längeres gemeinsames Lernen, Schulverbünde mit Filialschulen, zeitweiser Fernunterricht, Zwergschulen oder flexible Betreuungszeiten in Kitas sind Möglichkeiten, die Angebote an die demografischen Veränderungen anzupassen.

Je älter, desto sesshafter

Im Vergleich zu den jüngeren Altersgruppen können sich Ruhestandswanderer ab 65 Jahren deutlich seltener für einen Umzug begeistern. Dennoch sind auch sie in der Zeit zwischen 2008 und 2013 mobiler geworden und suchen sich inzwischen häufiger nach dem Ende des Berufslebens einen neuen Wohnort. Es zieht sie jedoch weniger in die Großstädte, sondern eher in die mittelgroßen Städte mit 10.000 bis 50.000 Einwohnern. Häufig ist das Ziel der Ruhestandswanderer das lokale Versorgungszentrum in ihrer Heimatregion.

Die mittelgroßen Gemeinden im Raum übernehmen häufig als lokale Versorgungszentren eine wichtige Aufgabe für sich und ihr Umland. Sie können in den demografisch schrumpfenden, ländlichen Regionen am ehesten eine Vielzahl an Versorgungseinrichtungen von Krankenhäusern bis hin zu kulturellen Angeboten bündeln. Die Leistungsfähigkeit dieser Städte ist für die Lebensqualität der gesamten Region wichtig. Sie sollten sich zudem nicht scheuen, ihr altersfreundliches Umfeld nach außen zu vermarkten. Die Befürchtung, dies könnte potenzielle jüngere Zuwanderer vergraulen, ist fehl am Platz. Ein Zuzug von Älteren bedeutet immer auch eine verstärkte Nachfrage nach Dienstleistungen und damit neue Arbeitsplätze für jüngere Menschen, etwa für Friseure, Kulturschaffende, im Handel und in der Pflege. Zumal durch die demografische Entwicklung künftig ältere Menschen in größerer Zahl unter den Wanderern vertreten sein dürften.

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In keiner anderen Altersgruppe zeigt sich die Vorliebe für Großstädte so eindeutig wie bei den Bildungswanderern. Insgesamt verzeichnen bei ihnen nur die größeren Städte mit über 50.000 Einwohnern einen positiven Wanderungssaldo – und diese konnten ihren Vorsprung gegenüber den kleineren Gemeinden sogar weiter ausbauen. Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern konnten ihren Wanderungssaldo bei den 18- bis 24-Jährigen nur geringfügig verbessern. © Berlin-Institut
Die Gewinner und Verlierer bei den Familienwanderern verteilen sich weiträumiger als bei anderen Altersgruppen. Die an große Städte grenzenden Gemeinden weisen fast durchweg positive Wanderungssalden auf. Doch selbst in sehr abgelegenen Gebieten gibt es eine Vielzahl von Gemeinden, die Familien anziehen. © Berlin-Institut
Aus Gemeinden ohne zentralörtliche Funktion ziehen immer mehr Ältere weg. Davon profitieren vor allem die Mittel- und Oberzentren. Von den 23 Oberzentren in Ostdeutschland verzeichneten im Jahr 2013 nur zwei einen negativen Saldo bei den Ruhestandswanderern. Eine größere Bandbreite zeigt sich hingegen bei den Mittelzentren. Im Durchschnitt weisen sie dennoch den höchsten Wanderungssaldo in dieser Altersgruppe aus. Bei den Grundzentren ist das Bild zweigeteilt. Die Hälfte verzeichnete einen Zuzug von Ruhestandswanderern, die andere Hälfte einen Wegzug. © Berlin-Institut
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