Pressemitteilung
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  • Neue Studie 

Was tun, wenn das Wachstum schwindet? Warum auf Staat, Bürger und Wirtschaft eine neue Normalität zu

  • Demografischer Wandel

Das Wirtschaftswachstum der Industrieländer hat sich über die Jahre immer weiter verlangsamt. Dahinter stecken strukturelle Gründe wie der demografische Wandel oder eine wachsende Ungleichheit in vielen Staaten. Aus diesem Grund täten die Länder gut daran, sich rechtzeitig auf ein mögliches Ausklingen des Wachstums vorzubereiten.

© Berlin-Institut

Wachstum ist das große Ziel – auf internationalen Gipfeln, in den Wirtschaftswissenschaften, im Grundgesetz oder in den Wahlprogrammen nahezu aller Parteien. „Doch ein Wachstum, das den Menschen dient, lässt sich zunehmend schwieriger erreichen“, so Dr. Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. In allen Industrienationen hat es sich in der Vergangenheit bereits erheblich reduziert. Zum Beispiel in Deutschland: Dort lag das jährliche Wachstum im Mittel der 1950er Jahre noch bei rund acht Prozent; es halbierte sich in den 1960ern und erreichte im Mittel der Jahre 2011 bis 2016 nur noch rund eineinhalb Prozent. Auch die ersten Schwellenländer folgen längst diesem Abwärtstrend.

Der amerikanische Harvard-Professor Lawrence Summers, ehemaliger Chefökonom der Weltbank, spricht vor diesem Hintergrund von einer „säkularen Stagnation“ – von einer Wirtschaftsschwäche, die über einen sehr langen Zeitraum anhält. Denn die wichtigsten Wachstumstreiber der Vergangenheit verlieren an Dynamik: Das Bevölkerungswachstum klingt aus, die Gesellschaften altern und die Produktivität erhöht sich trotz digitaler Revolution immer langsamer. Die Konsummöglichkeiten der unteren Einkommensschichten nehmen aufgrund steigender sozialer Ungleichheit ab und ökologische Schäden wirken zunehmend bremsend auf die wirtschaftliche Entwicklung. „Politiker und Zentralbanken versuchen diese strukturell bedingte Wachstumsverlangsamung mit den klassischen Instrumenten der Konjunkturpolitik zu bekämpfen – mit staatlich geförderten Investitionsprogrammen oder niedrigen Zinsen“, erklärt Klingholz. „Konjunkturpolitik kann aber strukturelle Probleme gar nicht bekämpfen. In der Folge steigen lediglich die weltweiten Schulden.“ 

Das Problem dabei ist, dass sich Staat, Wirtschaft und Gesellschaft lange Zeit auf ein beständiges Wachstum eingerichtet haben. Klingholz: „In unserer heutigen Organisationsform ist der Staat auf Wirtschaftswachstum angewiesen, um seine Schulden bedienen zu können oder um leistungsfähige Sozialsysteme für eine alternde Gesellschaft zu erhalten.“ Auch die Wirtschaft ist abhängig von Wachstum. Ohne Wachstum sinken die Gewinnaussichten, der Investitionsbedarf geht zurück und der technische Fortschritt verlangsamt sich. Dann drohen massive Jobverluste. Wachsende Arbeitslosigkeit und eine erlahmende Wirtschaft schließlich könnten das tiefe Vertrauen der Menschen untergraben, dass es ihnen von Generation zu Generation immer besser geht. Demokratien konnten sich einst unter Wachstumsbedingungen stabilisieren, weil es mehr an breite Bevölkerungskreise zu verteilen gab. Bei einer anhaltenden Stagnation stehen sie vor einer ungewohnten Bewährungsprobe. 

Dass sich aus der Wachstumsschwäche zumindest eine „ökologische Dividende“ ergibt, weil weniger Güter auf den ersten Blick auch weniger Energie- und Rohstoffverbrauch bedeuten, sei laut Klingholz nicht sicher: „Die Politik könnte mit Konjunkturprogrammen reagieren, die Umwelteffekte außer Acht lassen. Sie könnte Umweltvereinbarungen wie das Pariser Klimaabkommen umgehen, weil sie kurzfristig das Wachstum behindern, oder alte, schädliche Technologien wie die Kohleindustrie wieder zum Einsatz bringen.“ Erst wenn Politik und Wirtschaft künftig das Wachstum auf jene Bereiche konzentrierten, die nachweislich zu einer Verbesserung der Umweltsituation beitragen, und gleichzeitig jene Unternehmen vom Markt verschwänden, die für große Umweltschäden verantwortlich sind, hätte säkulare Stagnation unter dem Strich einen ökologischen Nutzen. 

Bisher ist unklar, ob es sich bei dem erkennbaren Wachstumsrückgang tatsächlich um eine säkulare Stagnation handelt. Die betroffenen Länder sollten sich aber auf jeden Fall mit einem „Plan B“ auf eine längerfristige Schwäche vorbereiten und ihre Systeme rechtzeitig von den heutigen Wachstumszwängen befreien – so fordert es das Berlin-Institut. Sie müssen Mittel und Wege für ein Wohlergehen ihrer Bevölkerung bei weniger oder in Abwesenheit von Wachstum finden.

Die Daimler und Benz Stiftung fördert Forschungsvorhaben, die thematisch an der Schnittstelle zwischen Mensch, Umwelt und Technik ansetzen. Im Sinne ihres in der Satzung formulierten Auftrags legt sie dabei besonderes Augenmerk auf wissenschaftliche Exzellenz, Interdisziplinarität und gesellschaftliche Relevanz. Zudem ist sie bestrebt, das Ansehen der Forschung in der Öffentlichkeit zu stärken. Gegründet wurde die Stiftung 1986 von der Daimler-Benz AG (heute Daimler AG). Als Stiftung des bürgerlichen Rechts ist sie rechtlich unabhängig und finanziert die von ihr geförderten wissenschaftlichen Projekte durch die Erträge aus dem Stiftungsvermögen. Der Sitz der Geschäftsstelle ist das ehemalige Wohnhaus der Familie von Carl Benz in Ladenburg, zudem unterhält die Stiftung ein Büro im Haus Huth am Potsdamer Platz in Berlin.

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68526 Ladenburg

Dr. Johannes Schnurr 
(schnurr@daimler-benz-stiftung.de, T. 06203-10920)

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(info@piekenbrock-kommunikation.de, T. 030-43655542)

Rückläufiges Wirtschaftswachstum in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs – eine säkulare Stagnation? Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung beleuchtet diese Problematik in seiner
aktuellen Studie „Was tun, wenn das Wachstum schwindet?"
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